Niemandsland
hatte Ripinsky seine Probleme mit Ned.
Allerdings hatte ich keine Vorstellung von den Ursachen. Sandermans plötzlichen
Aufbruch nach Sacramento dagegen verstand ich wieder: Er floh vor dem
Donnerwetter, das es sicher geben würde, wenn Ripinsky von seiner Verbindung
mit Mick Erickson erfuhr.
In der Hoffnung, das Donnerwetter würde
in der Öffentlichkeit milder ausfallen, schlug ich vor, zum Dinner zu Zelda’s
zu gehen.
Beim Essen erklärte Ripinsky Anne-Marie,
was es mit dem Decknamen Tarbeaux auf sich hatte. Danach gab ich wieder, was
Sanderman mir über Mick Erickson erzählt hatte. Zu meiner Überraschung nahm Hy
diese neue Information ebenso ruhig auf wie Anne-Marie: nur aufmerksam und mit
gespanntem Gesichtsausdruck.
Wieder einmal wurde unser Gespräch
durch Rose Wittington unterbrochen. Sie war kurz nach uns in Begleitung einer
Freundin aufgetaucht. Als diese gegangen war, hatte sich Rose mit ihrer
Kaffeetasse ungefragt an unseren Tisch gesetzt und fragte jetzt Hy und mich
nach dem gestrigen Leichenfund aus. Ich ließ ihn reden — es war eine
Kurzfassung, die den örtlichen Klatsch nicht im geringsten zufriedenstellen
würde — und fragte sie dann: »Irgendwelche Schwierigkeiten mit Lily gehabt
gestern nacht?«
Rose schüttelte den Kopf. »Ich kann gut
mit ihr umgehen.«
Mir fiel keine taktvolle Formulierung
für die Frage ein, ob sie der Tiger-Lily tatsächlich zu verstehen gegeben habe,
die Milch könnte vergiftet sein, und ob sie sie tatsächlich mit ihrem
verstorbenen Mann in flagranti erwischt habe. Aber als ich von Lilys Reaktion
auf die chinesischen Wachen auf dem Minengelände berichtete und Rose sich sanft
darüber amüsierte, bestärkte mich das in der Annahme, daß unsere Goldschürferin
wieder nur große Töne gespuckt hatte.
»Lily hatte schon immer einen kleinen
Hau, wenn es um Asiaten geht«, sagte Rose. »Erinnert mich an eine Figur in
einem Fu-Man-Chu-Film.«
»Sie sagte mir, es habe hier keinen
›von der Sorte‹ mehr gegeben, seit um 1850 der ›Chinaman‹ aufgehängt worden sei.
Was war mit dem?«
»Ein finsteres Kapitel in der
Geschichte von Promiseville. Sie wissen, daß viele Chinesen vor Krieg und
Hungersnot daheim zu uns geflohen sind und in den Goldfeldern gearbeitet
haben?«
Ich nickte.
»Nun ja, und zuerst haben die Leute sie
auch toleriert. Aber Mitte der fünfziger Jahre war die Stimmung umgeschlagen.
Die Lage wurde ziemlich ungemütlich. Fremdenfeindlichkeit und Rassenvorurteile
nahmen zu. 1852 nannte sie der Gouverneur tatsächlich eine Bedrohung für den
Staat. Es gab Goldschürfer-Camps, die ein Chinese nicht betreten durfte, ohne
sein Leben zu riskieren.«
Hy sagte: »Der Chinese von Promiseville
war der Ladenbesitzer, nicht?«
»Ja — ein guter Geschäftsmann, forderte
vernünftige Preise, gab freigebig Kredit. Der einzige Grund, warum er bleiben
durfte. Doch dann kam es zu einem Kampf zwischen ihm und einem Südstaatler —
das waren die, die den Rassismus wirklich hochpeitschten. Er hat ihn getötet.
Es war Notwehr, dennoch haben sie den Chinaman gehängt.«
»Sie sind ja eine regelrechte
Historikerin«, sagte Anne-Marie zu ihr.
»Nicht halb so gut wie der alte Earl
Hopwood, dieser Überläufer, der sein Land an diese Goldminen-Gesellschaft
verkauft hat.«
»Apropos«, sagte ich, »Hopwood scheint
verschwunden zu sein. Haben Sie eine Ahnung, wo seine Tochter Peggy jetzt lebt
oder unter welchem Namen sie derzeit verheiratet ist?«
»Nein, von Peggy habe ich seit Jahren
nichts mehr gehört. Es sind jetzt fast zehn. Ich glaube, Earl hat einmal
erwähnt, daß sie in Marin County gelebt hat, doch danach ist sie umgezogen.«
»Ich hatte gehofft, sie wüßte
vielleicht, wo ihr Vater steckt.«
»Nicht anzunehmen. Sie scheinen sich
irgendwie zerstritten zu haben. Aber warum sagen Sie, Earl sei verschwunden?
Ich habe ihn Mitte letzter Woche an der Tankstelle gesehen.«
Ripinsky und ich sahen uns an. Das
hieß, der alte Mann war in der vergangenen Woche zweimal gesehen worden.
Bayards Erinnerungsvermögen hätte durch seinen Drogenkonsum angeschlagen sein
können, aber Roses Gedächtnis konnte ich sicher vertrauen. »Hat er irgend etwas
darüber gesagt, daß er fort war? Oder daß er vorhabe, wegzufahren?«
»Also, er meinte, er würde nicht zu
unserer Bibelstunde gestern kommen. Er ist jetzt einen Monat oder länger nicht
mehr dagewesen.«
»Und Sie haben keinerlei Vorstellung,
wo Peggy wohnen könnte?«
»Also, sie hat immer in der Gegend um
die San
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