Niemandsland
folgendes
fragen: Sie müssen doch schon gestern, als wir darüber sprachen, den Verdacht gehabt
haben, daß der Tote und Mick Erickson dieselbe Person waren. Warum haben Sie
das da nicht erwähnt?«
Er befeuchtete sich die Lippen und
preßte sie zusammen.
»Was ist, Ned?«
»Ich habe nur... Ich wollte in
Gegenwart von Ripinsky nichts sagen, nicht, bevor ich darüber nachgedacht
hatte.«
»Warum nicht?«
»Also, mir kommt es so vor — und er
hätte das sicherlich auch so gesehen — , als hätte ich Mick unabsichtlich auf
eine Idee gebracht, die er später ausgenutzt hat.«
»Über die Goldschürf-Möglichkeiten
hier.«
»Ja.«
»Daraus könnte Hy Ihnen kaum einen
Vorwurf machen. Sie wußten ja nur, daß Erickson an der Arbeit der Coalition
interessiert war. Und er hat Ihnen schließlich auch eine erkleckliche Summe
geschenkt.«
»Sie und ich, wir sehen das so. Aber
Ripinsky wird das Ganze umdrehen. Er ist wie viele Umweltschützer vom alten
Schlag — ein Fanatiker, der sich über die neue Generation ärgert.«
»Ich weiß nicht, ob ich das richtig
verstehe.«
»Ripinsky liebt Mutter Natur. Jeder
Baum, jeder Stein, jeder Vogel müssen erhalten werden, koste es, was es wolle.«
Sanderman verzog spöttisch die Lippen. »Er sieht nicht die Realitäten, mit
denen wir es zu tun haben. Sieht nicht die Notwendigkeit von Kompromissen und
daß man sich anpassen muß. Er begreift nicht einmal, wie nötig wir Geld
brauchen. Wir können nicht von dem existieren, was kleckerweise von unseren
Mitgliedern und privaten Spendern hereintröpfelt. Wir brauchen das große Geld,
und wir müssen lernen, dafür die richtigen Quellen anzuzapfen.«
»Und hatten Sie dabei an Mick Erickson
gedacht?«
»...Also, er war sicher der Mann, der
einem ein Entrée beim großen Geld verschaffen konnte. Aber erzählen Sie das mal
Ripinsky. Er warf mir vor, ich würde das ganze Tufa-See-Gebiet verkaufen. Und
das Schlimme ist, wenn jemand anderem — Anne-Marie zum Beispiel — die gleiche
Fehleinschätzung passiert wäre, hätte er Verständnis dafür gehabt. Aber nicht
bei mir... Ripinsky hat es auf mich abgesehen.«
»Wieso?«
Er zuckte mit den Schultern und sah
weg.
»Ich glaube nicht, daß er es auf Sie
abgesehen hat, Ned. Ihr beide paßt nur nicht zusammen, weil ihr zu verschieden
seid.«
Sanderman sah mich noch immer nicht an.
Er schien mir etwas sagen zu wollen, wußte aber nicht, wie er die Sache angehen
sollte. Schließlich meinte er: »Vielleicht haben Sie recht. Solche Konflikte
sind mir nicht neu. Mein ganzes Leben lang... Ich passe nicht gut zu anderen
Leuten und andere Leute nicht gut zu mir.«
Solche Selbsterkenntnis hatte ich ihm
gar nicht zugetraut. »Worin besteht diese mangelnde Übereinstimmung?«
»Zuerst einmal finde ich andere Leute
uninteressant. Verglichen mit meinen Vorstellungen scheinen sie mir reichlich
trivial. Ihre Sorgen, ihre Lebensweise — wenn Sie genau hinsehen, müssen Sie
zugeben, daß sie oberflächlich sind. Am glücklichsten bin ich, wenn ich allein
bin und an theoretischen Problemen arbeite, mich in meine technische Lektüre
vertiefe, Kreuzwort- oder Silbenrätsel entwerfe. Aber ich weiß natürlich genug
über den Menschen als gesellschaftliches Wesen, daß ich mir sage, ich müßte eigentlich Beziehungen aufbauen, und das kompensiere ich
dann, indem ich zuviel rede. Die Leute finden mich langweilig.« Er fiel in
Schweigen und hielt die Hand an die Lippen, als wollte er den Schmerz
unterdrücken, der aus seinen Worten sprach. Ich spürte, daß das die erste
wirkliche Vertraulichkeit war, mit der er sich seit langem jemandem geöffnet
hatte.
Mir fiel auf, daß ich selbst Sandermans
Probleme mit genau umgekehrtem Vorzeichen hatte: Mein Leben lang war ich in
Beziehungen eingebunden — vielleicht zu stark. Die Leute erzählen mir oft
Sachen, die sie sonst keiner Seele erzählen würden. Mag sein, weil ich eine
offene Art habe. Mag sein, weil ich die richtigen Fragen stelle. Mag auch
einfach nur sein, weil ich mich wie jemand verhalte, der Vertrauen zu
respektieren und zu wahren weiß. Das hat mich oft genug in Schwierigkeiten
gebracht, wenn jemand dann später bedauerte, zu offen gewesen zu sein, aber hin
und wieder wurde das auch zur Basis für eine feste Freundschaft — ganz
abgesehen von dem gewaltigen Nutzen, den es mir bei meiner Arbeit brachte.
Ich fragte ihn: »Macht es Ihnen etwas
aus, daß die Leute Sie langweilig finden?«
»Natürlich! Ich habe auch meine
Gefühle. Nur, weil ich
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