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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ihr den Fall in allen Einzelheiten
dargelegt hatte. Jetzt setzte sie nur ein kühl-professionelles Gesicht auf und
wartete darauf, daß ich sie entließ.
    Ich sagte viel zu herzlich: »Was ich
noch fragen wollte — wie war das Wochenende?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Hast du mit Willie etwas Besonderes
unternommen?«
    »Eigentlich nicht. Haben uns ein paar
Videos, geliehen und Pizza kommen lassen. Den größten Teil des Sonntags haben
wir wilde Dinge getrieben.«
    »...was für Dinge?«
    »Wilde Dinge. Du weißt schon.«
    »Du meinst...«
    »Genau das.« Sie runzelte die Stirn,
hielt den Kopf schief und hatte ihre Kränkung wieder vergessen. »Kennst du den
Ausdruck nicht?«
    »Äh, nein.«
    »Na, und wie nennst du es?«
    »Sich lieben.«
    »Nein, ich meine inoffiziell. Wie sagt
man in deiner Generation dazu?«
    Meine Generation. Mir fiel wieder ein, daß Rae mehr als
ein Jahrzehnt jünger war als ich. In vielerlei Hinsicht waren wir tatsächlich
die Produkte verschiedener Epochen. »Also, in der High-School nannten wir es
zuerst nur ›es tun‹. Aber das war in den Sechzigern, und weil damals jeder gern
die Welt schockierte, hieß es schon bald nur noch ›bumsen‹.«
    »Und danach?«
    »...Ich weiß nicht. Ich nehme an, wir
haben uns ganz schön durch die Siebziger gebumst, und in den Achtzigern hatten
wir dann unsere ›Beziehungskisten‹ und was es sonst noch an schrecklichen
Ausdrücken gab. Und jetzt... Ich kann gar nicht glauben, daß wir jetzt so ein
Gespräch führen!«
    »Warum? Das sind historisch
bezeichnende Sachen.«
    »Ja, sicher.« Aber ich mußte zugeben,
das Thema war fesselnder als jedes, über das wir hätten reden können. »Als mein
älterer Bruder soweit war, nannten sie es wohl ›bis zum Ende gehen‹. Und meine
Eltern wollten ›ein Nickerchen machen‹ und schickten uns dann alle zu unserer
Tante.«
    »Als ich in die Schule ging, hieß es
›Laß es uns machen‹. Meine Großmutter, bei der ich aufgewachsen bin, nannte es
›sich fleischlich erkennen‹ und hat es verboten.«
    »Es hat also eine lange Zeit gebraucht,
bis man bei den wilden Dingern angekommen ist. Kann man es auch direkt zum
Tätigkeitswort machen? Wilddingern?«
    »Klar. Du kannst es sogar konjugieren:
Ich wilddingere, du wilddingerst, er, sie, es wilddingert.«
    »Konjugieren auch noch!«Ich schlug die Hand auf den
Mund und prustete.
    Rae schaute mich einen Augenblick
verwirrt an. Dann formten ihre Lippen ein kleines O, und sie fing an zu
kichern.
    Ich lachte lauter. Rae ließ ein ›Wow!‹
hören und klappte nach vorn. Während ich mit der Faust den Schreibtisch
bearbeitete, rutschte sie vom Sofa auf den Boden. Da steckte Hank den Kopf
durch die Tür.
    »Störe ich bei einer wichtigen
Konferenz?« fragte er.
    Ich wischte mir die Tränen aus den
Augen und winkte ihn herein. Offenbar hatte er heute noch einen Auftritt vor
Gericht, denn er trug einen grauen Anzug und eine seiner, wie er es nannte,
›seriösen‹ Krawatten. Er sah von der einen zur anderen, kratzte sich am Kopf,
der von Jahr zu Jahr mehr einem Ballen Stahlwolle glich, und hinter seiner
Hornbrille baten zwei fragende Augen um Teilnahme an dem Spaß.
    Rae schaute von ihrem Platz auf meiner
Orientbrücke hoch. »Wir haben uns über Konjugationen unterhalten«, sagte sie,
und erneut brach eine Kichersalve aus ihr hervor.
    Hank blinzelte. »Du meinst: ›Ich bin,
du bist, er ist‹?«
    »Nein, eher... Ach, was!« Sie stand
auf, hob ihren Notizblock auf und rauschte an ihm vorbei. Ihr Gegacker war noch
zu hören, bis sie unten ihre Bürotür zugeworfen hatte.
    Ich wischte mir noch einmal über die
Augen und fragte mich, ob unsere übertriebene Heiterkeit nicht daher rührte,
daß wir erleichtert gemerkt hatten: Wir konnten noch zusammen lachen.
Vielleicht würden solche kleinen Momente schließlich die Distanz zwischen uns
überbrücken und es überflüssig machen, daß ich die ganze Geschichte einmal
direkt zur Sprache brachte...
    Hank setzte sich auf den Sofaplatz, den
Rae frei gemacht hatte. »Worum ging es denn?«
    »Wir haben mehr oder weniger über Sex
geredet.«
    »Daher der anzügliche Blick, den sie
mir im Hinausgehen zuwarf. Gott, hat die Frau eine schmutzige Lache.«
    Für kurze Zeit verfielen wir in
Schweigen — aber in ein verbindendes und längst nicht so emotionsgeladenes wie
jenes, das zwischen Rae und mir herrschen konnte. Dabei wäre es vor allen
anderen Hank gewesen, dessen Gefühle sich mir gegenüber hätten wandeln können:
Ihn

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