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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Polizei die ganze
Geschichte kannte, würde sie eher annehmen, Ong sei aus eigenem Antrieb
verschwunden, vielleicht, weil er meine Fragerei leid war oder weil ihm die
Richtung unbehaglich wurde, in die unser Interview lief. Es schien zwar
widersinnig, eine Fremde im unverschlossenen Haus zurückzulassen, aber denkbar
wäre es schon. Und wenn es der Fall wäre und er käme zurück und sähe, daß ich
die Polizei gerufen hätte, geriete ich in Schwierigkeiten. Er war ein Mann, der
Aufsehen bei den Behörden vermied. Es würde ihm Ärger machen, und er würde es
als ein Eindringen in seine Privatsphäre empfinden — Gegebenheiten, die Leute
wie Ong wohl veranlassen würden, gleich nach ihren Anwälten zu...
    Ich ging durch die Diele und schob die
Doppeltür auf. Vor mir lag ein Wohnzimmer — es war der Raum, dessen Galerie ich
vom Studio aus gesehen hatte. Auf einer Anrichte gleich neben der Tür stand ein
Telefon. Ich nahm den Hörer auf und rief All Souls an.
    Ted meldete sich und sagte, Hank
spreche auf einer anderen Leitung. Ich las ihm die Nummer vor, die unterhalb
der Tastatur meines Apparats stand, und ließ ihn meinen Boss bitten, er möge
zurückrufen. Dann hängte ich ein und fing mit nervöser Hast an, das Haus zu
erforschen.
    Das Erdgeschoß war ausschließlich Wohn-
und Wirtschaftsbereich, aufwendig möbliert, aber wieder ohne jeden Hinweis
darauf, daß hier eine chinesische Familie wohnte. Eine zweite Wendeltreppe
führte zu einem Flur ins erste Untergeschoß, von dem drei Schlaf- und
Badezimmer und ein Elternschlafzimmer abgingen. Ich ging schnell daran vorbei
und kam zu einer weiteren Treppe, die mich noch ein Geschoß tiefer führte. Von
der oberen Terrasse hatte man davon nichts gesehen. Die Zimmer hier waren
eindeutig Kinderzimmer. Es gab auch einen Spielbereich voller Spiele, Spielzeug
und elektronischer Geräte. Noch immer nervös, weil Ong zurückkommen und mich an
einem Ort antreffen könnte, an den ich nicht gehörte, schenkte ich diesen
Zimmern nur kursorische Blicke, bevor ich ins Studio zurückging.
    In einer der Wände unterhalb der
Galerie befand sich seitlich eine Tür, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Mit
einem Ohr auf Schritte oder ein Auto lauschend, öffnete ich sie und fand ein
Büro mit Computer und einer Reihe stählerner Aktenschränke. Auf dem
Schreibtisch lagen keine Papiere, sondern nur ein lederner Aktenkoffer. Ich
versuchte, ihn zu öffnen, aber er war mit einem soliden Schloß gesichert. Das
gleiche galt für die Aktenschränke. Sollte es einen Safe geben, würde ich ihn
sicher auch finden, aber Safeknacken zählte nicht zu meinen etwas
zweifelhafteren Fertigkeiten.
    Ich seufzte, lauschte noch einmal,
setzte mich dann in den Schreibtischsessel und sah nachdenklich den Computer
an. Von Computern verstand ich nur unwesentlich mehr als vom Safeknacken, und
Ong hatte sicher keine interessanten Dinge an leicht zugänglicher Stelle
gespeichert.
    Das Telefon läutete. Automatisch griff
ich nach dem Hörer. Dann zögerte ich. Wahrscheinlich war es Hank, aber...
    »Hier bei Ong«, meldete ich mich.
    »Sharon?«
    »Hank. Danke, daß du zurückrufst. Ich
brauche juristischen Rat.«
    »Raus damit.«
    Ich erklärte ihm, was hier passiert
war, und sagte schließlich: »Bin ich im Recht, wenn ich mich und All Souls
schütze und nicht die Polizei verständige?«
    Hank schwieg. Er hatte noch nie
unüberlegte Ratschläge gegeben. Nach einer Weile fragte er: »Hat Ong keine
Andeutung gemacht, daß er das Interview abbrechen wollte?«
    »Nun, er mochte die Richtung nicht, die
ich mit meinen Fragen eingeschlagen hatte. Aber wenn ich ihn richtig verstanden
habe, interessierte es ihn schon, warum ich diese Fragen stellte und wieviel
ich wußte. Ich glaube nicht, daß er unser Gespräch an diesem Punkt freiwillig
abgebrochen hat.«
    »Und du sagst, dieser Bote hat ihn
angerufen?«
    »Ja. Also, irgendwer hat ihn
angerufen.«
    Wieder Schweigen. »In Ordnung — zwei
Dinge. Erstens bist du nicht verpflichtet, die Polizei zu rufen, weil du keinen
wirklichen Hinweis darauf hast, daß Ong etwas zugestoßen ist. Er kann
freiwillig gegangen sein, aus welchem Grund auch immer. Du fischst dort ein
wenig im trüben, und wenn du die Polizei rufst, gehst du, rechtlich gesehen,
ein großes Risiko ein. Aber zweitens glaube ich, Ong hat dich reingelegt.«
    »Inwiefern?«
    »Dieses Verschwinden — oder diese
Entführung, was immer — kommt mir inszeniert vor. Daß niemand sonst im Haus
ist, der Zeitpunkt des

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