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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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verschwand, und ging ins
Haus zurück.
    Ong war noch nicht zurück. Zuerst hörte
ich auch von oben nichts. Dann schlug eine Autotür, und vom Hof drangen
entfernte Stimmen zu mir herunter.
    Ich ging durch das Zimmer und sah mir
Ongs Bücherregale an. Die Titel verrieten einen ziemlich eklektischen
Geschmack: Neben den erwarteten Büchern über Finanzfragen, Immobilien und
Management standen dort eine eindrucksvolle Sammlung von Titeln zur
Weltgeschichte und zur Philosophie und daneben die wichtigsten Romane und
Gedichtausgaben. Ich griff nach einem schmalen Band von Robinson Jeffers, einem
unserer kalifornischen Dichter, und wollte ihn gerade aufschlagen, als die
Stimmen im Hof lauter wurden. Ich stellte das Buch an seinen Platz zurück und
ging zur Treppe.
    »Das ist absurd!« sagte Ong. Seine
Stimme klang erregt und verbarg nur unzulänglich eine unterschwellige Panik.
    Jetzt sprach die andere Person — höher
und nicht so laut. Die Worte konnte ich nicht verstehen, und ich konnte auch
nicht feststellen, ob die Stimme männlich oder weiblich war.
    Als ich den Fuß der Treppe erreicht
hatte, waren die Stimmen verstummt. Ich überlegte noch, ob ich mich nach oben
wagen sollte, da hörte ich erneut eine Autotür. Dann noch eine. Ein Motor
sprang an. Fuhr der Bote wieder weg?
    Noch immer war Ong nicht wieder im
Haus. Ich setzte einen Fuß auf die unterste Stufe, zog ihn dann aber wieder
zurück. Ong hätte Schnüffeleien ganz bestimmt nicht geschätzt. Ich wollte das
dünne Band, das nach meinen Fragen nach der Goldmine vielleicht doch noch
bestehen mochte, nicht mutwillig zerreißen.
    Doch wo steckte er?
    Ich spähte die Treppe hinauf, sah aber
nur das sterile Licht der Diele. Ich lauschte, hörte aber nichts als den Wind,
der durch die Zweige der Yuccapalmen im Hof fuhr.
    Schnell stieg ich die Wendeltreppe
hinauf. Die Diele war leer, die Haustür stand offen. Ich eilte über den
schwarzen Marmorboden und sah hinaus. Im Hof war niemand. Auch das Tor war nur
angelehnt. Als ich darauf zuging, fiel mir ein Gegenstand auf dem Boden neben
dem Tor auf. Ein dicker DIN-A4-Umschlag. Ich hob ihn auf. Kein
Adressenaufkleber, kein sonstiger Hinweis. Die Lasche war offen, der Inhalt
aber unberührt. Ich zog die Papiere heraus, blätterte sie durch. Lauter leere
Blätter, ungefähr ein halber Block billiges liniertes Notizpapier. Daneben war
ein Terrakotta-Blumentopf mit Sukkulenten umgestoßen worden. Der Kies auf dem
Weg war an dieser Stelle aufgescharrt. Ich rannte zum Tor und schaute hinaus.
    Die Straße lag verlassen da. Kein Bote,
kein Wagen. Und auch kein Lionel Ong.
    Ich sah zum Haus zurück. Nein, ich
hätte ihn gehört, wenn er zurückgekommen wäre.
    Das ist absurd!
    Mir fiel der panische Ton in Ongs
Stimme wieder ein. Ich sah mir noch einmal die Spuren des offensichtlichen
Kampfs im Hof an. Und erinnerte mich, daß ich zwei Autotüren hatte zuschlagen
hören.
    War Ong einfach weggefahren, ohne mir
Bescheid zu sagen? Oder war er entführt worden, während ich unten in seinem
Studio wartete?
     
     
     

15
     
    Ich warnte mich selbst vor vorschnellen
Schlüssen, ging in den Hof zurück und sah mich noch einmal um. Die Anzeichen,
die auf einen Kampf schließen ließen, konnten auch durch Hast oder eine
Ungeschicklichkeit verursacht worden sein. Der Umschlag mit den leeren Blättern
mußte nicht zwangsläufig etwas mit Ong zu tun haben, sondern konnte ebensogut
für eines seiner abwesenden Kinder durch das Torgitter geworfen worden sein.
Und die Panik in seiner Stimme? Konnte ich mich da verhört haben?
    Nein, dachte ich, das war nicht
möglich.
    Ich ging über den Hof zurück ins Haus.
Dort herrschte die lastende Stille, wie man sie nur in leeren Häusern spürt.
Zwar war ich sicher, daß Ong nicht da war, dennoch rief ich nach ihm. Meine
Stimme hallte von den Wänden der Diele wider.
    Und was sollte ich nun tun? 911
anrufen? Was sollte ich sagen? Es war kein Fall für die Polizei, falls Ong nur
einfach mit seinem Besucher davongefahren war. Und wenn ich die Vermutung
äußerte, er könnte gekidnappt worden sein, würde man mich fragen, wie ich
darauf käme.
    Ein etwas aufgewühlter Boden, ein
umgeworfener Blumentopf, der Umschlag und die Panik in Ongs Stimme, die nur ich
gehört hatte: Das war nicht gerade viel. Die Polizei würde mir raten,
vierundzwanzig Stunden zu warten, und wenn er dann noch immer nicht zurück
wäre, einen Verwandten zu veranlassen, eine Vermißtenanzeige zu erstatten.
    Außerdem, sobald die

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