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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Ende wird er uns alle
vergiftet haben.« Ich aß meine Gurke, klappte das Sandwich auf und aß nur den
Käse und die Pastrami. »Marcy, ich muß mehr über Lionel Ong wissen. Gestern
haben Sie von zwei Geliebten gesprochen, einer in Sausalito und einer am
Telegraph Hill. Wissen Sie Genaueres über die eine oder die andere?«
    »Nicht viel. Über die in Sausalito habe
ich nur Gerüchte gehört — daß beide zusammen segeln und daß er ihr ein Boot
gekauft hat. Über die andere könnte ich wahrscheinlich etwas herausbekommen.
Ich habe einen Freund, der im selben Haus wohnt und sie kennengelernt hat.«
    »Würden Sie das für mich tun? Ich
brauche eine Adresse, einen Namen. Wenn sonst nichts, dann wenigstens eine
Beschreibung von ihr.«
    »Klar.« Sie sah auf die Uhr. »Er wird
jetzt nicht in seinem Büro sein — er gehört zu diesen Burschen, die entweder
mit dem Bürgermeister zu Mittag essen oder sich auffällig an den Nebentisch
setzen und ihn daran erinnern, daß er ihm noch einen Gefallen schuldet. Aber
ich schnappe ihn mir später und sag’ Ihnen Bescheid.«
    »Danke.« Ich gab das Sandwich auf und
wickelte seine Reste ein. »Ich staune, wie eng die chinesische Gemeinde
zusammenhängt. Sie scheinen jeden zu kennen.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Wir
hängen sehr voneinander ab. Das kommt von unserer Großfamilien-Tradition. Und
das muß auch so sein. Unser Volk mußte in diesem Land eine Menge Scheiße über
sich ergehen lassen. Denken Sie nur an das Ausschließungsgesetz von
achtzehnzweiundachtzig. Die ›Heiden aus China‹ waren die einzige ethnische
Gruppe in der Geschichte, der die Einwanderung in die USA expressis verbis verweigert
wurde.«
    »Ich erinnere mich. Aber meinen Sie
nicht, daß diese ganze Diskriminierung Ihnen auch geholfen hat, Ihre ethnische
Identität zu bewahren? Sehen Sie zum Beispiel mich an: Ich bin zu sieben
Achteln schottisch-irisch mit einem Achtel Schoschonenblut. Und ich
identifiziere mich mit keiner Gruppe.«
    »Und? Wollen Sie zu diesen
schwachsinnigen Liberalen gehören, die die Indianer gar nicht ausstehen können
und gleichzeitig mit ihrem Kopfschmuck herumrennen und für die Rechte der
eingeborenen Amerikaner demonstrieren?«
    Ich verzog das Gesicht. »Nein.«
    »Sehr gut, denn sonst wären Sie auch
nur so ein verlogener Blödkopf, den ich am liebsten nicht kennen würde.«
    Ich lächelte und trank einen Schluck
Bier.
    Marcy aß ihr Sandwich auf und sammelte
die Reste vom Boden rund um uns auf. Ich wühlte in meiner Tasche nach einer
Karte, um ihr meine Privatnummer daraufzuschreiben. Dabei stieß ich auf den
Zettel, auf dem ich die Unterschrift des Bildes in Ongs Büro notiert hatte.
    »Übrigens«, sagte ich und hielt ihn ihr
hin, »können Sie mir sagen, was das hier bedeutet?«
    Sie warf einen Blick darauf. »Gum San.
Das ist Umgangssprache und bedeutet in etwa ›Land der goldenen Hügel‹.«
    Goldene Hügel. So hatten Ong und auch
Alvin Knight das Minenprojekt im Stone Valley genannt. »Wo liegt es?«
    »Damit ist Kalifornien ganz allgemein
gemeint. Der Name stammt von den Chinesen, die in den Vierzigern des vorigen
Jahrhunderts hierher kamen, um in den Goldfeldern zu arbeiten. Wo sind Sie dem
begegnet?«
    Ich beschrieb ihr das Bild an Ongs Wand.
    Sie nickte. »Ich habe solche Bilder
schon gesehen. Vor ein paar Jahren haben wir eine Ausstellung über chinesische
Gebrauchskunst aus der Zeit des Goldrauschs gemacht. Die Bilder sahen so aus
wie unsere typischen Aquarelle mit den Schriftzeichen, außer daß die
Künstler... na ja, die meisten waren eigentlich keine. Und sie mußten mit den
Materialien arbeiten, die sie gerade zur Hand hatten — das Bild in Ongs Besitz
ist wahrscheinlich auf Leinen gemalt, das aus einer Zeltwand geschnitten
wurde.«
    Mir fielen die zeltähnlichen Gebilde im
Vordergrund des Bildes auf, die ich für Pagoden gehalten hatte. »Dann war das
in Wirklichkeit also ein Bild von einem Goldsucherlager. Wo kann Ong das
herhaben? Bekommt man sie in Galerien oder Antiquitätenläden?«
    »Nein, es sind nicht viele erhalten
geblieben. Wahrscheinlich ist es ein Erbstück. Als wir uns an die erwähnte
Ausstellung machten, hat Lionel sie recht substantiell unterstützt. Er sagte,
er wolle die öffentliche Aufmerksamkeit auf das harte Los und die Diskriminierung
lenken, die unser Volk auf den Goldfeldern erleiden mußte. Der Bruder seines
Großvaters war in einem Kampf zwischen rivalisierenden chinesischen
Goldsuchergruppen, die sich zu Geheimbünden

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