Niemandsland
daß morgen nachmittag ein Gedenkgottesdienst für
Mick stattfinden würde. Ich hinterließ die Bitte an Margot, mich gleich nach
ihrer Rückkehr anzurufen. Dann fuhr ich zum Telegraph Hill. Niemand meldete
sich auf mein Läuten in den drei Transpacific-Apartments.
Zur Sino-American Alliance kam ich eine
halbe Stunde zu spät, aber ich brachte zwei Pastrami-Käse-Sandwiches mit, zwei
riesige Knoblauch-Dill-Gurken und einen kleinen Becher Kartoffelsalat. Marcy
Cheung hing über dem Leuchtpult und begutachtete einen Stapel Dias. Ihr Kinn
fiel herunter, als sie die Verletzungen in meinem Gesicht sah.
»Nicht von Ong«, sagte ich schnell.
»Ich bin mit einer widerspenstigen Zeugin zusammengestoßen.«
Sie registrierte meinen entschiedenen
Ton und fragte taktvollerweise nicht nach weiteren Details. Nachdem sie mit
Begeisterung in dem Lunchpaket herumgewühlt hatte, holte sie das versprochene
Bier, und wir setzten uns wie beim letztenmal in ihrem Büro auf den Fußboden.
Ich hatte mich diesen Morgen so zerschlagen gefühlt, daß ich glaubte, den
ganzen Tag keinen Bissen herunterzukriegen. Aber jetzt war mein gewohnter
Heißhunger wieder da.
Ich erwartete, daß Marcy gleich die
Kassette mit dem Interview abspielen würde, aber sie warf sie nur auf den
Schreibtisch und stürzte sich auf ihr Sandwich. Als ich sie fragte, ob sie
nicht in das Band hineinhören wolle, winkte sie ab. »Was immer Sie
draufbekommen haben, ich nehme es. Dieser Hurensohn ist selber schuld, wenn er
sich davongemacht hat, bevor Sie fertig waren.«
Ich spielte mit meiner Gurke herum und
fragte mich, wieweit ich Marcy trauen könnte. Sie sah mich mit scharfem
Reporterblick an, paßte wieder auf Nuancen auf, ohne neugierig zu wirken. Nach
einer Weile beschloß ich, ihr zu trauen. Schließlich hatte auch sie mir
genügend Vertrauen entgegengebracht, indem sie mich Dinge tun ließ, die ihr bei
ihrem Chef ernsthaften Ärger hätte bereiten können. Ich sagte: »Ong hat sich
nicht eigentlich davongemacht. Ich bin sicher, er ist nicht freiwillig
gegangen.«
Den Mund voll Pastrami, zog sie die
Augenbrauen hoch.
Unter dem Siegel der Verschwiegenheit
erzählte ich ihr, was in Ongs Haus passiert war.
»Ein tolles Ding«, sagte sie, als ich
zu Ende war. »Was ist Ihrer Meinung nach mit ihm passiert?«
»Ich weiß nicht, was ich davon halten
soll. Mein Boss vertritt die Theorie, ich sei hereingelegt worden — Ong habe
eine Zeugin für ein inszeniertes Verschwinden gebraucht. Aber eine andere
Person, die mit dem Fall zu tun hat — das Mordopfer nämlich — , hatte etwas
ganz Ähnliches arrangiert, und ich glaube, zwei solche Zufälle kann ich nicht
akzeptieren.«
»Also ist er vielleicht entführt worden.«
»Vielleicht. Aber warum dann keine
Lösegeldforderungen?«
»Sie wissen von keiner, aber vielleicht
wurden schon welche erhoben. Über solche Dinge geben die Polizei oder das FBI
ja nicht gleich eine Meldung an die Presse.«
»Stimmt. Ich wünschte, ich fände es
heraus.«
»Mal sehen, ob ich Ihnen helfen kann.«
Marcy griff nach der Telefonschnur und zog den Apparat unter dem Schreibtisch
hervor. »Ich kenne Lionels Sekretärin ziemlich gut. Ich rufe sie an und sage
ihr, ich müsse mit ihm ein paar Dinge für das Interview durchgehen. Selbst wenn
sie mir nichts sagen will, kommt vielleicht doch ein Gefühl für die Situation
rüber.« Sie wählte und ließ sich mit Ongs Büro verbinden. Und wartete.
»Komisch«, sagte sie und hielt die Hand
über die Sprechmuschel. »Lynn geht kaum jemals zum Lunch aus, aber sie
verbinden mich jetzt mit dem Büro, das Mitteilungen entgegennimmt.«
»Hinterlassen Sie eine und sehen Sie
mal, ob sie zurückruft.«
Sie tat es und widmete sich dann wieder
ihrem Lunch. »Was haben Sie nun vor?« fragte sie. »Zur Polizei gehen?«
»Wenn eine Erpresserforderung existiert
und die Polizei hinzugezogen wurde, muß ich alles berichten, was ich weiß. Ist
das nicht der Fall, soll ich mich raushalten, hat mein Boss mir geraten. Er
fürchtet sonst eine Anklage gegen mich und gegen unsere Kooperative, falls ich
mit meiner Einschätzung der Ereignisse falsch liege.«
»Anwälte. Die sollte man alle umlegen.«
»Manchmal bin ich Ihrer Meinung — und
doch sind die meisten meiner guten Freunde Anwälte.«
»Na gut, einige haben auch ihre humane
Seite, und die von All Souls sind noch die besten in der ganzen Bande. Sehen
Sie sich Koslowski an — er versucht die Welt mit seinem Protein-Getränk zu
retten.«
»Ja, und am
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