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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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nicht wünschen, dass dieses Entzücken aufhörte.
    Aber es hatte bereits aufgehört, am 19. Juni. Elf leere Tage seitdem, und Ludwig begann vor seelischer Dürre schon, Richard Wagner zu duzen; bisher hatte er sich streng an das »Sie« gehalten: »Ich bitte Sie, erfreuen Sie mich durch Nachrichten von Ihrer Stimmung, Ihrem Leben! – Alles, Alles ja bist Du mir! – Leuchtende Liebe, lachender Tod! – Ach, für Dich zu sterben! – Dein, in Ewigkeit! Ludwig.« 74 Die drei geplanten Vorstellungen waren vorüber, die Gäste abgereist, die Sänger auch, da fiel Ludwig II. im letzten Augenblick ein, dass er der König ist. Und wenn das stimmte, lag es dann nicht bei ihm, eine neue Aufführung zu befehlen? Also würde er den »Tristan« noch einmal hören? Und darum fuhr er jetzt Lokomotive, vorn beim Heizer, unbekümmert um die königliche Garderobe, frei bis in Tod. Er sprach die ganze Fahrt über mit dem Kohlenmann.
    Hatte er, mochte sich der König sagen, nicht gar die Verpflichtung gehabt, diese Surplus-Vorstellung zu befehlen nach allem, was vorausgegangen war? Die Generalprobe am 11. Mai 1865 war selbst Wagner zufolge der »Erfüllung des Unmöglichen« gleichgekommen. Aber um ihr zu trauen, um den allerletzten Zweifel zu tilgen, hatte er noch eine »geheime Generalprobe« am 13. Mai folgen lassen. Und da geschah es. Isolde bekam eine Erkältung und Herzschmerzen.
    Isolde mit Schnupfen und Kreislaufproblemen? Die Voraussetzung, dass ein Frauenherz auf der Bühne nach allen Regeln Wagner’scher Kunst brechen konnte, war ohne Zweifel, dass es tadellos funktionierte. Also Absage der Premiere im letzten Augenblick. Abreise des Ehepaars Malwine und Ludwig Schnorr von Carolsfeld zur Kur in Bad Reichenhall. Abreise verstimmter Nichtpremierengäste. Wieso waren sie aus dem letzten Winkel Europas angereist, um ein Werk zu sehen, von dem man doch längst wusste, dass es nicht aufführbar war?
    Tristan und Isolde auf Kur? Wagner teilte seinem König mit, für diese Welt nicht zu taugen. Der Assistent des Heizers auf der »Tristan«-Lokomotive aber hatte schon damals die Nerven behalten und begonnen, den Mann zu trösten, der sein Vater hätte sein können. Wagner wiederum tröstete Tristan und Isolde, sein »vielgeliebtes Hummelpaar«, begabt »bis zum Erstaunen«, und hoffentlich bald ebenso gesund. Und dann geschah es wirklich. Ludwig schickte seine So-angegriffen-vor-Entzücken-Depesche. Was für ein Jubel des Untergangs, von Vorstellung zu Vorstellung sich steigernd! Für die vierte, zu der Ludwig nun eilte, boten Münchner und Gäste mitunter gar das Zehnfache des Kartenpreises. Die Sänger hatte Wagner schon am Vortag eingewiesen: »Kinder, macht keine Streiche! – Ich sehe Euch morgen früh! Noch einmal – und – wenn’s sein soll – nie wieder! Mir recht! – Aber dieses eine Mal – noch gehörig! – Wotan segne Euch! – Aus einem großen Doppelherzen – schönsten Gruß – Euer Richard.« 75
    Und dann übertraf diese vierte Vorstellung alle vorherigen, so dass den Komponisten im letzten Aufzug bei Tristans Liebesfluch ein unabweisbares Gefühl des Frevels überkam, diese Leistung war zu groß: Dies sei die letzte Aufführung, und nie wieder dürfe eine gegeben werden!, verfügte er aus dem Eindruck des Augenblicks heraus.
    Richard Wagner war glücklich, Ludwig war glücklich, Tristan und Isolde, Malwine und Ludwig Schnorr von Carolsfeld waren glücklich. Sie gehörten, das hatte jeder gesehen, zusammen: der Musiker der Zukunft, die Künstler der Zukunft und der Zukunfts-König. Auch das Publikum war glücklich, das Orchester war glücklich. Nur eine war nicht glücklich: die Regierung. Ja, mehr noch, Pfi und Pfo waren entschieden unglücklich, viel mehr noch: Sie waren im höchsten Maße alarmiert, selbst wenn sie die Liebesbriefe ihres Königs an seinen ersten Musikmacher nicht gelesen haben sollten.
    Pfi war der bayerisch-königliche Kabinettssekretär von Pfistermeister, der, so glaubte Wagner, seine Bedeutung und Bedürftigkeit, in finanzieller Hinsicht, bisher nur unzulänglich erkannt hatte. Man könne das durch seine Entlassung sowie die Ernennung eines Intendanten für alle die Kunst betreffenden Belange ändern. Pfo hieß in Wahrheit von der Pfordten, war Erster Minister Seiner Majestät und nach Meinung des Komponisten kein bisschen besser als Pfi. Die beiden, legte Wagner dem König bald höchst anschaulich dar, seien wie Fasold und Fafner, höchst verderbliche Hüter des Horts.
    Der König

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