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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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führende Zeitung Europas – würde Artikel drucken mit Überschriften wie »Richard Wagner und die öffentliche Meinung«.
    Ein Münchner Wirt nannte den Neumünchner Wagner schon jetzt nur Lolus. Den Namen verstand jeder. Die Tänzerin Lola Montez war einst die Leidenschaft von Ludwig I. gewesen; sie war aber nicht nur Tänzerin, sondern bald auch ein Hauptnebengrund der Abdankung des Königs.
    Nein, es war nichts Persönliches in Pfis und Pfos Feindschaft gegenüber dem Leibmusikanten des Königs. Sie war vollkommen objektiv. Und es gab, das wussten sie, nur einen Weg, den Minderer des Horts auf Diät zu setzen: Er musste weg, ganz weg. Aber wie erklärt man das einem nicht einmal zwanzigjährigen König, dessen Freude an jedem neuen Tag in dem Gedan ken lag: Er ist da! Einem König, der den Dampfer, der seinen ei genen Namen trug, in »Tristan« umbenannt hatte? Und der jetzt, nach dem »Tristan« und oft ganz »betäubt durch staatsrechtliche Studien und politische Geschäfte« (Glasenapp) nur auf einen wartete. Auf »Lohengrin«, noch in diesem Jahr in seiner Hofoper.
    Hohenschwangau. Im November glaubt man morgens um 7.00 Uhr eher an den Weltuntergang als an einen neuen Tag. Aber am 12. 11. 1865 war das anders. Ein unbändiger Jubel drang an das Ohr des Königs, der sich in majestätischer Rücksichtslosigkeit befohlen hatte, jetzt aufzustehen. Es waren Hörner, sie antworteten einander. Als der König ans Fenster trat, sah er auf den Zinnen des Schlosses, in dem er großgeworden war, die Bläser stehen. Den Gruß hatte er zum ersten Mal gehört, als er mit fünfzehn Jahren Richard Wagners »Lohengrin« gesehen hatte, in München. Den Schwanenritter kannte er schon von den Wänden seines Vaterschlosses, im feierlichen Zug der Ritter ist auch er, das Horn blasend, um dem Kaiser seine Ankunft zu melden. Und nun gilt diese Meldung ihm. Richard Wagner war am Vortag eingetroffen und hatte eine kleine Abteilung des ersten Infanterieregiments nach Hohenschwangau abkommandiert: »In Frühn versammelt uns der Ruf / gar viel verheißet wohl der Tag!« Der König requirierte vor Begeisterung gleich noch zwanzig Mann desselben Regiments. »Guten Morgen, mein innig Geliebter!«, beginnt der Dank des Königs, und er kündigte an, seinen Leibmusikanten um 11.00 Uhr empfangen zu wollen. Auch Friedrich Nietzsche dachte an diesem 12. November 1865 gerade an Richard Wagner und beschloss, ab sofort zehn Zukunftsmusikmatinéen zu besuchen. Auch steht er noch eine halbe Stunde eher auf als der König, nur unbegrüßt. Im Wortlaut: Nächsten Sonntag höre ich die erste Zukunftsmusikmatinée, auf deren Konzertprogramm für sämmtliche 10 Matinéen nur die Namen Wagner, Liszt, Berlioz sich zeigen. Ich habe nichts neues erlebt. Mein Tageslauf ist einfach. Ich stehe ½ 7 auf, arbeite bis 11 Uhr … Wie vertreibt man Wanzen? 78
    Wie vertreibt man Richard Wagner?
    Während auf Hohenschwangau nun jeden Morgen um 7 Uhr der Weckruf aus dem zweiten Aufzug des »Lohengrin« erklang und der König seinem Gast jeden Morgen einen schriftlichen Gruß zukommen ließ, der meist mit »Geliebter!« begann, näherte man sich in München beharrlich der Beantwortung dieser Frage, deren Dringlichkeit der »Neue Bayerische Courier« seinen Lesern bald so darlegen würde: »Das geringste Übel, das dieser Fremdling über unser Land bringt, läßt sich in bezug auf seinen unersättlichen Appetit nur mit monatelang die Sonne verfinsternden und alle unsere Fluren verzehrenden Heuschreckenschwärmen vergleichen. Dieses schreckliche Bild einer Landplage aus pharaonischen Zeiten ist aber noch gar nichts gegen das Unheil, welches dieser sich maßlos überschätzende Mensch anstiften muß, wenn er statt Zukunftsmusik auch noch Zukunftspolitik treiben kann.« 79
    Ganz haltlos war dieser Verdacht nicht.
    Wozu besitzt man das Herz eines Königs, wenn nicht zum Mitregieren? Und was ist Zukunftsmusik ohne Zukunftspolitik? Der König hatte ihm geholfen, er würde ihm helfen. Dass er zum Regieren viel berufener war als der König, stand ihm außer Frage. Außerdem regierte in Wahrheit eben nicht der König, sondern Pfo. Auch musste das Befinden des Königs im Augenblick als nur bedingt geschäftsfähig gelten, denn er schrieb dem Freund von Schlossgemach zu Schlossgemach: »Wenn ich bei Ihnen bin, versagt mir die Sprache, fehlen mir die Worte, ich bebe vor Wonne. Mir schwindet die Welt …!« 80
    Es kam darauf an, sein Reich – also das des Königs – richtig in

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