Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
hatte nur noch in den Opernpausen regiert. Und nach dem Ende des letzten »Tristan« warf er seinen Sekretär aus der Equipage, er wolle allein sein. Noch fuhr Ludwig bloß Lokomotive, aber war das nicht ein Zeichen? Wohin würde diese Reise noch gehen? Und würde es an ihrem Ende das Königreich Bayern noch geben? Und wenn ja, wer würde darin herrschen? Richard Wagner, der Aufwiegler, der Revolutionär? Und würde, wenn dieses Nibelungentheater erst stand, nicht alles zu spät sein?
Der Regierungsantritt des Königs hatte beide nachhaltig irritiert. Die ersten größeren Befehle, die er erteilte, waren Zahlungsbefehle gewesen. Zuerst 4000 Gulden, auszuhändigen Herrn Richard Wagner, damit dieser seine schlimmsten Schulden bezahlen und nicht mehr wegen Zahlungsunfähigkeit verhaftet werden konnte. Natürlich handelte es sich hier nur um die Spesen seines früheren Aufenthalts auf Erden, für die gegenwärtigen und künftigen wollte Ludwig sorgen, indem er schon am 1. Mai 1864 seinem Komponisten ein Jahresgehalt von 4000 Gulden aussetzen ließ. Das war das Gehalt eines Ministerialrats. Im Juni waren noch einmal 16 500 Gulden als Geschenk gefolgt. 30 000 Gulden, erfuhren Pfi und Pfo, soll Wagner für den »Ring« erhalten, wovon 16 500 Gulden sofort fällig wurden. Und an das Theater durften sie gar nicht erst denken!
Ludwig saß kaum ein paar Monate auf dem Thron, es war noch nicht einmal richtig Sommer, und schon hatte der Hort Bayerns ein großes Loch. Nun war schon wieder Sommer, »Tristan«-Sommer. Allerdings hat Tristan, Ludwig Schnorr von Carolsfeld, ihn nicht überlebt. »Springende Gicht«!, lautete die Diagnose, vom Knie direkt ins Hirn. Eine Embolie, vielleicht auch Typhus. Mag sein, Pfi und Pfo wurde ein wenig leichter ums Herz. Aber Wagner lebte noch. Und dann wurde es Herbst.
Die Kabinettskasse erreichte der königliche Befehl, dem Musiker möglichst diskret 40 000 Gulden auszuzahlen. Ein Befehl ließ sich schwer umgehen. Es blieb nichts, als darauf hinzuwirken, dass der König solche Befehle künftig gar nicht mehr erteilen konnte. Die Befehlsempfänger beschlossen, die königliche Anweisung der Diskretion zu interpretieren. Und so sahen die Münchner bald einen offenen Wagen vor Wagners Haus in der Brienner Straße halten.
In dem Wagen waren lauter Säcke, und in den Säcken waren 40 000 Gulden in kleinstmöglichen Silber-Münzen. Die Nachricht, dass vor Richard Wagners Haus Geld abgeladen wird, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Die Münchner kamen von den Biertischen und Werkstätten, aus den Kinderstuben und Wohnzimmern. Sie kamen und sahen: Da sind ja unsere Steuergelder! Und sahen sie im Wagner’schen Hause verschwinden.
Man hat darauf hingewiesen, dass es sich bei den 40 000 Gulden keineswegs um ein Geschenk, sondern um ein Darlehen gehandelt habe. Doch es spricht für den Realitätssinn von Pfi und Pfo, die Summe gleich unter unwiederbringliche Verluste zu buchen. Verluste wiegen schwer. Sie sind schwer zu tragen. Und das machten die königlichen Geldträger nun, Sack für Sack voller Kleingeld luden sie in der Brienner Straße ab, bis die 40 000 vollzählig waren.
Vielleicht wussten die Augenzeugen gar nicht, was sie da bildeten, als sie so nah beieinander in der Brienner Straße standen: vielleicht noch keine öffentliche Meinung, denn die ist lauter, aber eine Vorform der öffentlichen Meinung schon. Und die würde künftige Nachrichten gleich viel besser einordnen können, etwa darüber, was am Ende der Brienner Straße entstehen soll, nämlich das Festspieltheater. Im Züricher Polytechnikum würde bald Sempers Modell ausgestellt sein und dort Begeiste rung erregen; »in seinen charakteristischen Hauptzügen dem nachmaligen Bayreuther Festspielhaus entsprechend, war es doch reicher und prachtvoller in der Anlage« 76 , eingefasst von einer doppelten Arkadenreihe wie bei der Bibliothek des Sansovino in Venedig. Überhaupt die Anlage: Eine steinerne Brücke würde über die Isar führen, und weiter »auf glücklich komponiertem Terrassenbau ein doppelter Weg so majestätisch hinan« 77 , vergleichbar nur der Spanischen Treppe in Rom. Ludwigs Beamte hätten zur Beförderung der Meinungsbildung eben dort etwas Geld in der Wiese vergraben können, aber es fiel ihnen entweder nicht ein oder sie hatten am Ende doch Bedenken. Denn ein interpretierter Befehl ist etwas anderes als gar kein Befehl.
Nicht mehr lange, und die »Augsburger Allgemeine Zeitung« – damals eine
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