Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
Vom Netzwerk:
Stellung zu bringen, zwischen Preußen und Österreich und den übrigen deutschen Staaten. Außerdem mussten Pfi und Pfo weg, überhaupt die jetzige Regierung. Unliebsame Unterbrechungen dieser vollkommenen Tage waren nur die Kabinettssekretäre, die den König störten. Manche der Sekretäre wollten den König künftig ein wenig anders regieren lassen, und da sie auf Hohenschwangau ohnehin täglich auf den Musikus trafen, weihten sie ihn als potentiellen Verbündeten ein. Es sei daran gedacht, die bayerische Verfassung von 1818 wiederherzustellen, die noch von einer absoluten Macht des Königs wusste, was von großem Vorteil sei, denn hätte Ludwig erst die absolute Macht, dann hätten sie umso mehr seine Berater. Dem Gast auf Hohenschwangau leuchtete das ein. Nur würde er dann ein Berater unter anderen sein. Und Pfi und Pfo hätten erst recht die Macht.
    Wenn er hingegen den König warnte und eindringlich mahnte, sein Kabinett umzubilden, wäre er die beiden los und seine Stellung beim König wäre beinahe unerschütterlich. Die Stunde des Abschieds nahte. Ludwig an Wagner: »Ich sende Ihnen hier eine Taschenuhr mit einem Schwane …; tragen Sie dieselbe, ich bitte Sie, zuweilen dabei des Freundes gedenkend, der Sie liebt mit aller Kraft der Seele, liebt bis in den Tod. – Wenn Sie den dunkelblauen Deckel der Uhr öffnen, werden Sie ein Bildchen (Lohengrin im Nachen) sehen; der ›Lohengrin‹ war es, der den ersten Keim der Begeisterung in mein Herz legte … Ich lege Knöpfe mit Schwänen bei mit dem hellstrahlenden Kreuze, dem Zeichen der Erlösung, des ewigen Heils. – … Ewig Ihr treuer Ludwig«. 81
    Er selbst blieb zurück; sein Flügeladjutant Paul von Taxis sann verzweifelt, wie er den Entschwundenen ersetzen könnte, und ließ sich selbst als Lohengrin verkleidet zur Lohengrinmusik, gespielt vom noch immer abkommandierten Regimentsorchester, nachthell angestrahlt von elektrischem Licht über den See ziehen. Die Oper hatte es in diesem Herbst nicht mehr auf die Bühne geschafft.
    In München meldeten die Zeitungen inzwischen nicht nur, dass die Heuschreckenplage im alten Ägypten nichts gewesen sei gegen Richard Wagner in München. Erzbischöfe, Professoren und der bayerische Adel inklusive dessen Verwandtschaft sprachen in höchster Sorge beim König vor. Ehrbare Münchner Bürger hatten fast 4000 Unterschriften zur Rettung des bayerischen Königreiches vor dem berüchtigten Revolutionär Richard Wagner gesammelt. Das Kabinett drohte mit Rücktritt. Pfi und Pfo, Fasold und Fafner, zeigten, wer sie waren. Gegen die beiden Riesen vermochte selbst Wotan wenig.
    Von der Pfordten teilte seinem König am 1. Dezember mit, dass der Augenblick der Entscheidung gekommen sei: »Eure Majestät stehen an einem verhängnisvollen Scheidewege und haben zu wählen zwischen der Liebe und Verehrung Ihres treuen Volkes und der ›Freundschaft‹ Richard Wagners.« 82 Am Tag darauf vollendete Wagner, der noch nichts wusste, die Partitur zum zweiten Aufzug des »Siegfried«, beflügelt von den Hohenschwan gauer Tagen und der Aussicht auf sein Festspieltheater. Dem König war bis eben nicht minder nachschwebend zumute gewesen: »Im Himmel wähne ich zu sein, gedenke ich jener wonnevollen Tage: der Geliebte hier, bei mir gewohnt, froh und glücklich, – o Seligkeit des Gedenkens! Heldenstärke fühle ich in mir, festen Muth zum kräftigen Handeln!«
    Hier täuschte sich der König. Dem Ansturm der Wirklichkeit, der ihn erwartete, war er nicht gewachsen. Einerseits hielt er die Wirklichkeit wie Wagner selbst für etwas tief Verächtliches. Andererseits musste er sich als ihr wie immer auch vorläufiges Mitglied, als ihr königliches Mitglied, in irgendein Verhältnis setzen, und sei es ein tief resigniertes. Als das Kabinett mit Rücktritt drohte, schrieb er an Pfo: »Mein Entschluß steht fest – R. Wagner muß Bayern verlassen.«
    Ludwigs eigene Formulierung mag hier missverständlich sein. Es war keineswegs »sein« Entschluss, es war der Entschluss, dem sich zu beugen er sich entschlossen hatte. Der Entschluss, unter dem er selbst am meisten litt, über den Wagner am 6. Dezember noch gelacht hatte, weil er ihn für einen bösen Spaß hielt: »Mein theurer Freund! So leid es mir ist, muß ich Sie doch ersuchen, meinem Wunsche Folge zu leisten, den ich Ihnen gestern durch meinen Sekretär aussprechen ließ. – Glauben Sie mir – ich mußte so handeln. Meine Liebe zu Ihnen währt ewig; auch bitte ich Sie, bewahren Sie mir

Weitere Kostenlose Bücher