Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
Vom Netzwerk:
immer Ihre Freundschaft; mit gutem Gewissen darf ich sagen, ich bin Ihrer würdig. – Getrennt – wer darf uns scheiden? – Ich weiß es, Sie fühlen mit mir, können vollkommen meinen tiefen Schmerz ermessen; ich konnte nicht anders, seien Sie davon überzeugt; zweifeln Sie nie an der Treue Ihres besten Freundes. – Es ist ja nicht für immer. – Ihr treuer Ludwig. (Soviel als möglich soll die Sache geheim gehalten werden, Ihrem Wunsche gemäß.)« 83
    Pfi und Pfo blieben; Wagner aber, nur begleitet von seinem Diener und dem todkranken Hund Pohl, ging am 10. Dezember 1865 früh um sechs Uhr wieder einmal ins Exil. Diesmal immerhin mit 8000 Gulden Jahresrente, die ihm blieb.
    Für die Münchner war damit »der Fall Wagner« noch keineswegs abgeschlossen. Der »Münchner Volksbote« fand heraus, dass Wagners Frau Minna in Dresden von der Armenbehörde unterstützt werden müsse, während ihr Mann sich in der Hauptstadt aller Bayern einem Heuschreckendasein gewidmet habe. Davon erfuhr auch Minna, sie war noch in der Lage, eine Ehrenerklärung für ihren Mann im »Weltboten« abzugeben, bevor sie an den Aufregungen und an ihrem kranken Herzen starb.
    Der Flüchtling war in den ersten Januarwochen durch Europa gereist, auf der Suche nach einem Ort, an dem er bleiben könne. Seinen Hund hatte er in Genf gelassen. Als er am 29. Januar wiederkam, war Pohl bereits begraben. Seine alte Frau und sein alter Hund waren tot, beide in derselben Woche gestorben. Richard Wagners Vergangenheit – es gab sie nicht mehr, und er selbst war heimatlos und auf der Flucht wie immer. Was konnte er tun?
    Er grub den von Fremden verscharrten Pohl aus, legte ihm sein Halsband wieder um, wickelte ihn fest in seine Hundedecke und begrub ihn noch einmal, in einer Wiese mit Blick auf den Genfer See. Seinem Hund setzte er eigenhändig einen Grabstein, seiner Frau nicht. Auf der Marmorplatte stand: »Seinem Pohl R. W.« Kurz darauf, am Karfreitag 1866, fand er an einem anderen Schweizer See das Haus, in dem er bleiben wollte.
    *
    Bleiben!, beschließt auch Friedrich Nietzsche. Oder er kommt gar nicht mehr dazu, weil Diener Jakob den Gratis-Hörer nun doch bemerkt. Der Diener bedauert. Der Hausherr arbeite, bis zwei Uhr, er könne jetzt keinesfalls gestört werden. Dann esse er. Und dann ruhe er. Und danach geht er mit seinen Hunden spazieren, einem Neufundländer und einem Pinscher, mit Russ und Kos. Aber das erklärt Jakob dem Fremden wohl nicht mehr. Der Durchreisende entschließt sich, seine Karte abzugeben.
    Richard Wagner hat seine Erfahrungen mit Gästen, die unangemeldet und uneingeladen vor seiner Tür stehen. Einer ließ sich gar als Walther von Stolzing melden. Es war der kleine König, der die Trennung nicht ausgehalten und sich ganz früh am Morgen aus seinem Schloss geschlichen hatte, nur begleitet von seinem Flügeladjutanten Paul von Taxis, der schon als Lohengrin über den See von Hohenschwangau gefahren war. Einen ganzen Tag lang war Majestät unterwegs gewesen. Eine höchst unvorsichtige Unternehmung, denn von Heuschrecken wird man überfallen, man geht sie nicht noch besuchen, wenn man sie endlich los ist. Bei Gelegenheit der mehrtägigen skandalösen königlichen Abwesenheit vor nunmehr drei Jahren machte die Münchner Presse erstmals den Fall Bülow-Frau-von-Bülow-Wagner öffentlich, der noch immer nicht ausgestanden ist.
    Der Durchreisende, auf dessen Karte das Wort Professor gewiss ebenso groß gedruckt ist wie sein Name, hatte sich schon zum Rückweg gewandt, als Jakob noch einmal vor die Tür tritt. Ob er jener November-Nietzsche aus Leipzig sei? Wenn ja, solle er zum Mittagessen wiederkommen. Da sei er schon fast bei Wilhelm Tell, lässt der Professor ausrichten. Also am Montag.
    Vielleicht ist dies der richtige Augenblick, um die Passage aus Friedrich Nietzsches Autobiographie wiederzugeben, in der er seine Abrechnung mit Wagner längst hinter sich hat und auch jetzt nicht mit Worten des Abstands, der Kühle spart – soweit es um Geist und Wirkung Wagners und um Geist und beabsichtigte Wirkung des Autors geht, denn eine irgendwie reale Wirkung besitzt er noch nicht, gedenkt sie jedoch auch mittels dieser Selbsterklärungsschrift »Ecce homo«, die schon als »Selbst kreuzigungsschrift« identifiziert wurde, zu erwerben. Doch kein Autobiograph handelt lediglich vom Geist, er spricht immer auch vom Unordentlichsten, sich dem eigenen Willen und Denken Widersetzenden – dem Leben selbst. Und Friedrich Nietzsche, der

Weitere Kostenlose Bücher