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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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aus dem »Ring« und den »Meistersingern«. Das kostete Geld, er musste neue Schul den machen. Zum ersten Konzert am 26. Dezember 1862 erschien sogar Kaiserin Elisabeth. Und die Wiener verfielen in Begeisterung, wie es wohl auch nur die Wiener können, selbst wenn der Kritiker Hanslick nun zu wissen meinte, wie es zum Untergang Pompejis gekommen war. Das jedoch lässt sich erklären, hatte doch der Komponist den Kritiker im Jahr zuvor begrüßt, als kenne er ihn gar nicht. Worauf der Tenor, der in einer Wiener »Lohengrin«-Proben-Pause beide einander zugeführt hatte, peinlich berührt die Vermutung äußerte, man müsse sich aber doch kennen. Natürlich, antwortete Wagner, natürlich erinnere er sich an Herrn Hanslick, worauf er sich ab- und wieder den Musikern zuwandte.
    Richard Wagner hatte soeben zum ersten Mal seinen »Lohengrin« vollständig gehört und konnte vor Ergriffenheit kaum sprechen. Und wenn er es gekonnt hätte, dann ganz sicher nicht mit einem Kritiker, und selbst wenn sogar das, dann ganz sicher nicht mit diesem. Doch nicht nur der Komponist, auch die Stadt seines nunmehr erneuerten Aufenthalts verstanden sich auf eine gewisse Virtuosität der Abwendung, der Gleichgültigkeit. Man nennt das auch Wiener Leben.
    Am Ende war alles genauso, wie er es schon zwei Jahre zuvor geahnt hatte: »Meine älteren Opern sind überall herum: mit meinen neuen Werken stoße ich auf fast – unüberwindliche Schwierigkeiten. Ich bin mit meinen neuen Arbeiten meiner Zeit und demjenigen, was unsere Theater leisten können, weit vorausgeeilt … Kein Mensch frägt nach mir. Ich habe ganz und gar wieder von vorn anzufangen. 115
    Muss er? Nein, beschloss er, das Aufhören lag viel näher als das Anfangen. Das Einzige, was in seinem Leben noch zunahm, waren die Schulden.
    Richard Wagner konnte sie schon seit längerem nur noch dadurch begleichen, dass er neue Schulden aufnahm. Die Banken schauten Richard Wagner an wie heute eine Staatsanleihe Griechenlands.
    Einem wie ihm liehen ohnehin nur noch die Wucherer Geld, zu einschlägigen Zinsen. Seine jährlichen Zinsverluste betrugen bis zu 200 Prozent. Allein die Wiener Schulden beliefen sich im März 1864 auf 12 100 Gulden, eine Summe, die dem Wagner-Biographen Martin Gregor-Dellin zufolge 100 000 DM ergäbe, Stand um 1980. Im selben März war der »Tristan« endgültig abgesetzt worden. Österreich ging sehr unnachsichtig gegen Schuldner vor – die Schuldhaft, die ihm in Paris wohl doch erspart geblieben war, jetzt drohte sie wirklich, so dass ein jüngerer Onkel Franz Liszts ihm dringend riet, Wien zu verlassen, wenigstens vorübergehend. Auch war der Onkel Jurist und wollte nicht in Verlegenheit kommen, selbst gegen Wagner vorgehen zu müssen. Aber wo sollte der hin?
    Zu den Wesendoncks! Immer, wenn er sich in den zurückliegenden Jahren diese Frage stellen musste, hatte er sich diese Antwort gegeben. Er fragte auch jetzt bei Otto Wesendonck an, mit folgendem Ergebnis: »Dieser schlug meine Bitte vollständig ab; worauf ich nicht umhin konnte, ihn durch eine Antwort meinerseits auf sein Unrecht aufmerksam zu machen.« 116 Unrecht? Immerhin hätte Wesendonck um ein Haar seine Frau an den um Einlass Bittenden verloren. In der Oper hat er sie verloren.
    Die Wiener Freunde drängten immer stärker auf seine Flucht. »Freund, wie soll das enden?« Hauptsache, es endet. Cosima, die er damals schon mit dem vertraulichen Du ansprach, bekam einen Lebensabschiedsbrief: »Den letzten Krampf, mit dem ich vom Leben Abschied nahm, hast Du empfunden. Seitdem bin ich in ein letztes Leidensstadium getreten: ich fühle bestimmt, daß es nun bald vorbei sein wird. Noch eine traurige letzte Mühe, und es ist überstanden.« 117 Der Brief ist vom 10. März – am selben Tag war der blutjunge Ludwig Maximilian II. auf den bayerischen Thron gefolgt.
    Es ist nicht leicht für einen von Schuldhaft Bedrohten, sich unbemerkt aus der Stadt seiner Gläubiger zu entfernen. Doch er hatte es schon einmal geschafft, damals in Riga, und auch jetzt wollte er es zumindest versuchen. Freund Standhartner lud ihn zum Mittagessen ein, wohin er wie jeder derart Begünstigte ohne Gepäck ging. Und ohne den alten Jagdhund Pohl, der eigentlich seinem Vermieter gehörte, aber längst Richard Wagner zu seinem neuen Herrn erwählt hatte. Sein Diener Franz stellte ihm den Koffer später zu. Franz, dessen Frau und Pohl mussten aus Tarngründen zunächst auf unbestimmte Zeit zurückbleiben.
    Das Ende des Monats fand

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