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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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ihn schon in München, doch nicht, um den jungen König zu sehen, nur, weil er doch irgendwo sein musste und weil er hoffte, hier würde ihn keiner suchen. Er erblickte das Bild des soeben Gekrönten in einem Schaufenster, bemerkte die Schönheit des jungen Monarchen, welche ihn »mit der besonderen Rührung ergriff, die uns Schönheit und Jugend in unvermuteter ungemein schwieriger Lebenslage erweckt«. 118 Auf dem Rückweg zu seinem Hotel dichtete er seinen Grabspruch: »Hier liegt Wagner, der nichts geworden …«. Sollte er gleich oder später? Wahrscheinlich fuhr er nur aus Unentschlossenheit weiter, bat um Aufnahme – »nur für ein paar Tage« – bei einer Freundin in Mariafeld bei Zürich. Eliza Wille suchte ihn sich zu sich selbst zu ermutigen.
    Vielleicht unter ihren Besänftigungen erinnerte er sich an den, der er war, und begann sogar manchmal wieder wie dieser zu fühlen: »Ich bin anders organisiert, habe reizbare Nerven; Schönheit, Glanz und Licht muß ich haben! Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche! Ich kann nicht leben auf einer elenden Organistenstelle wie Ihr Meister Bach!« – Die Freundin hatte ihm Bach als Vorbild nahegelegt, und seine Schwester Luise Brockhaus empfahl ihm per Post, sich um die frei werdende Organistenstelle in Darmstadt zu bewerben. – »Ist es denn eine unerhörte Forderung, wenn ich meine, das bißchen Luxus, das ich leiden mag, komme mir zu? Ich, der ich der Welt und Tausenden Genuß bereite?« 119
    Da es hier ohnehin längst um Geld-, Gold- und Glanzfragen geht und darum, dass Schätze am besten dort bleiben, wohin sie gehören, nämlich in den tiefsten Berg oder aber auf den Grund eines großen Flusses, ist dies vielleicht die richtige Gelegenheit, Richard Wagners intimes Verhältnis zum Luxus noch einmal neu zu betrachten.
    Irgendwann war er zu der Überzeugung gelangt, dass das Mindeste, was ein Genie verlangen dürfe, darin bestehe, dass andere für die Spesen seines Aufenthalts auf Erden aufkommen. Unter dem Blickwinkel der Ewigkeit betrachtet – und welcher sonst käme in Frage? –, sollte das keine Frage sein. Oder wie Friedrich Nietzsche das in durchaus apologetischer Absicht formuliert, neigen große Genies nun einmal zu einem drohnenartigen Dasein, den Alltagsfliegen unfassbar .
    Und noch einmal anders betrachtet: Niemand empfindet die Sicherheit des In-der-Welt-Seins, die der Besitz gewährt, so sehr wie der Besitzlose. Auch hat sie niemand nötiger. Und wann hat man wirklich das Gefühl, Geld zu besitzen? In jedem Fall in dem Augenblick, da man es ausgibt. Und darum macht Richard Wagner das schon sehr lange und mit tiefer Überzeugung und vor allem dann, wenn er nichts besitzt als Schulden.
    Eliza Wille, belehrt über seine Möglichkeiten einer Bach-Nachfolge, hatte bei den Wesendoncks nach Möbeln für Wagner angefragt – ein Fall von Nachbarschaftshilfe gewissermaßen –, und nach den Möbeln kamen diese bald auch selbst, wie es unter alten Bekannten üblich ist, wenn man einander plötzlich wieder so nahe wohnt. Aus Wien erreichte ihn inzwischen die Nachricht, dass die Freunde seine Einrichtung verkauft und mit dem Erlös seine Mietschulden bezahlt hatten, was Wagner so sehr erboste, dass er um jeden Preis zurückwollte. Auf der Stelle! Oder nein, sobald er sich neues Geld geborgt hätte für die Reise. Durch seinen Zorn gehörte er fast schon wieder dem Reich der Lebendigen an, er musste sein Ableben verschieben.
    Diesen Aufschub bemerkte auch der nun von einer weiten Reise zurückkehrende Mann der Gastgeberin. Denn egal, ob Wagner ein armer Flüchtling war oder nicht – wo er sich aufhält, geht es um ihn, also auch im Hause des entfernten Freundes, der ebenfalls vieles zu erzählen gehabt hätte wie jeder, der lange nicht zu Hause war. Wille missfiel das zunehmend. Der dominante Selbstmordkandidat gibt den wachsenden Unmut des weitläufigen Freundes rückblickend so wieder: »Man wolle in seinem Hause doch auch etwas sein, gerade hier aber nicht einem anderen bloß zur Unterlage dienen.« 120 Aus dem entfernten Freund wurde ein noch weiter entfernter Freund, und Richard Wagner war wieder obdachlos.
    Er hinterließ noch einen Brief für Mathilde Wesendonck, den diese ungeöffnet wieder zurückschickte, und beschloss, in Stuttgart auf neues Geld zur Wien-Rückkehr zu warten. Zur Beförderung seiner Kreditwürdigkeit, überlegte er, könnte er den 1. Aufzug der »Meistersinger« komponieren, am besten in der tiefsten Abgeschiedenheit, in der

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