Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
hat nicht im mindesten vor, auf die Egoismen und Empfindlichkeiten von lügnerischen Musikern Rücksicht zu nehmen. Und er braucht es auch nicht. Denn er hat den »Ring«, den es noch gar nicht gibt, längst gekauft. Dreißigtausend Gulden sollte der Komponist für sein Werk erhalten, über die Hälfte bekam er gleich. Da wird Ludwig doch wohl den Anfang von etwas aufführen können, das ohnehin ihm gehört.
Wie regiere ich einen König?, fragte sich Richard Wagner. Im Augenblick, da gibt es gar keinen Zweifel, regiert der König ihn.
Das »Rheingold« ist nur ein Vorabend, die Ankündigung von etwas, was dann nicht folgen kann. Mir egal, sagt Ludwig. Er will sehen, wie der freche Nibelunge das Gold vom Rheingrund stiehlt und wie es einem Gott ergeht, wenn er sich auf teure Immobilien kapriziert, egal ob Wotan auf Walhall oder Wagner auf Tribschen. Vielleicht interessiert Ludwig das auch so unaufschieb bar, weil er in diesem Jahr zwar nicht den Grundstein zu Wag ners Festtheater, aber sehr wohl den zum Schloss Neuschwanstein legen lässt.
Egal wie, den Verträgen bin ich Knecht, sagt selbst Wotan. Und der Vertrag zwischen Ludwig und Wotan Wagner lautet nun einmal: Ludwig verzeiht und bekommt dafür das »Rheingold«. Und nun, am 25. August, ausgerechnet an des Königs Geburtstag und zwei Tage vor der Hauptprobe, wirft der junge Dirigent Hans Richter alles hin und sagt, das könne er nicht länger verantworten. Die szenische Umsetzung deute auf eine Katastrophe. Bülow ist schon weg. Wagner ist ohnehin klar, dass ein herkömmliches Theater seinem Riesenwerk nicht gewachsen ist. Darum hatte er sich vorgenommen, die Münchner Vorgänge und sein Werk einfach zu ignorieren, aber jetzt ist das nicht länger möglich. Außerdem war Richters Schritt mit Wagner abgesprochen, um zu retten, was noch zu retten ist, und das heißt vor allem: Zeit gewinnen! Die Premiere muss verschoben werden! Richters Einsatz ist sein Amt.
Aber der König bleibt starrsinnig. Am 27. August findet die Hauptprobe in München in seiner Gegenwart statt, fast fünfhundert Gäste sind geladen. Richter muss dirigieren, Befehl ist Befehl, Untertan ist Untertan, danach mag er gehen, wohin er will.
Neben diversem Adel, Franz Liszt und Iwan Turgenjew ist auch das junge französische Trio anwesend und depeschiert nach Tribschen, sinngemäß: Großartige Musik! Großartiges Orchester! Unmögliche Szenen! Unmögliche Dekoration! Wagner empfängt dieses Telegramm und neun weitere Depeschen – darunter eine vom verzweifelten Noch-Dirigenten und eine nicht minder derangierte vom Wotan-Sänger – während eines Essens in vertrauter Leipziger-Herbst-Erinnerungsrunde: Seine Schwester Ottilie und Brockhaus sind da, Nietzsche ist auch da, und alles könnte auf so einfache Weise gut sein, störte nicht immerzu die Post, hätte Cosima nicht den ganzen Morgen geweint, weil Hans von Bülow in München kein Lebenszeichen, keine Adresse, gar nichts für sie hinterlassen hatte, und würde Wagner nicht in Gedanken ein Gnade-für-mein-Werk-und-mich!-Telegramm nach dem anderen entwerfen. Eins davon schickt er auch ab.
Cosima findet noch die Kraft, im Tagebuch den einzigen Ruhepol in der Brandung dieses Tages zu vermerken: »Zwischen all dies Pr. Nietzsche, immer angenehm.«
*
Weia! Waga!
Woge, du Welle,
walle zur Wiege!
Wagalaweia!
Wallala weiala weia! …
Heiala weia!
Kein Komponist vor ihm hat so Wasser komponiert. Ja, vielleicht sollte man sagen, keiner vor ihm hat überhaupt Wasser komponiert. Schubert hat einen Bach in Noten gesetzt, aber nicht Wasser, in dem man untergehen kann. Und Händels »Kleine Wassermusik« ist reine Festlands- und Weltordnungsmusik. Wirkliche Wassermusik entsteht dann, wenn alle Weltordnung, auswendig und inwendig, durcheinandergerät.
Richard Wagners Italienreise im September 1853 bot dafür optimale Voraussetzungen. Eigentlich war sie nur eine Flucht. Er reiste, um nicht arbeiten zu müssen, und er arbeitete nicht, weil ihm nichts einfiel. In der Riesenoper, die er beginnen wollte und die vom Schatz handeln sollte, den ein habgieriger Nibelunge dem rechtmäßigen Besitzer, dem Grunde des Rheins, entwendet, musste auch dieser selbst vorkommen. Aber wie? – Auf einer Reise, sagen sich oft die, denen nichts einfällt und die nicht arbeiten wollen, wird alles besser.
In Genua eingetroffen, sah er zum ersten Mal das Mittelmeer und wusste nicht, worüber er mehr staunen sollte, über diese prächtige, selbstbewusste Stadt, die
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