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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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entwerfe. Hebe ich das Ohr einmal aus diesem Bücherhaufen empor, so höre ich sofort etwas, was in Bologna vorgeht oder in der Stadtverordnetenversammlung von Baireuth beraten ist … 248
    Was geht in Bologna vor?
    *
    Bis eben galt laut Glasenapp: Eher stürzt der Himmel ein, als dass die Italiener eine Wagner-Oper aufführen!
    Bologna, 1. November 1871: »Das geräumige und prachtvolle Teatro Communale war schon geraume Zeit vor Beginn von einem aus allen Teilen Italiens versammelten Auditorium dicht besetzt. Als Mariani am Dirigierpult erschien, stürmisch jubelnde Begrüßung: dann begann das Vorspiel.« Die Bologneser hören den »Lohengrin«. »Eine in Italien so noch nicht dagewesene Ruhe im Zuschauerraum war die sofortige Wirkung; erst als die letzten Schwingungen des Schlussakkordes ausgetönt hatten, machte sich ein Beifallssturm Luft, der nicht enden wollte, bis Mariani sich anschickte, es zu wiederholen. Während des ersten Aufzuges wurde die Handlung beständig durch Beifallsausbrüche unterbrochen, die Zuhörerschaft jubelte im Chor, und nach dem immer mehr sich steigernden Finale fiel unter endlosem Jubel der Vorhang: fünfmal mußten die Sänger dankend erscheinen und der Erfolg war schon nach dem ersten Akte entschieden.« 249
    Nicht nur Friedrich Nietzsche, auch Richard Wagner komponiert. Zumeist Finsternisse, schwärzeste Nacht. Nichts als Blutdurst, sagt er, schon seit Monaten. »Schläfst Du, Hagen, mein Sohn?«
    Er hält sich auch, so gut er kann, an den Musiktheoretiker Friedrich Nietzsche: »Ich habe einen griechischen Chor komponiert, aber einen Chor, der gleichsam vom Orchester gesungen wird; nach Siegfried’s Tod, während des Scenenwechsels, es wird das Siegmund-Thema erklingen, als ob der Chor sagte, er war sein Vater, dann das Schwertmotiv, endlich sein eigenes Thema, da geht der Vorhang auf, Gutrune tritt auf, sie glaubt, sein Horn vernommen zu haben; wie könnten jemals Worte den Eindruck machen, den diese ernsten Themen neugebildet hervorrufen werden, dabei drückt die Musik stets die unmittelbare Gegenwart aus.« 250
    Wie sehnt der Professor sich nach solcher Gegenwart. »Meinem Versprechen gemäss melde ich bei Zeiten daß am 20ten December das Concert in Mannheim stattfinden wird«, kündigt Cosima am 26. November an, »Ende nächster Woche oder Anfangs der andern geht der Meister nach München und Bayreuth; ich und Lulu, wir fahren über Basel am 17ten D. direkt nach Mannheim. Können Sie uns begleiten?« 251 Was gäbe er drum, nicht Professor zu sein. Er kann nicht. Er muss zusätzlich zu seinen eigenen Pflichten einen dauerkranken Professor ersetzen. Die Dämonen scheinen Urlaub zu machen, und er kann keinen nehmen, geschweige denn sich am Pädagogium vertreten lassen. So entgeht mir auch dies Concert, wie mir das Berliner entgangen ist 252 . Noch am 14. November teilt er von Gersdorff mit, dass die Beethoven ’ sche A-Dur-Symphonie, Zauberflöten-Ouvertüre und Lohengrin-Vorspiel ohne ihn erklingen werden. Noch nie hat er Richard Wagner dirigieren sehen, er, der beste Leser seiner Schrift »Über das Dirigieren«. In Mannheim hatte sich der erste Wagner-Verein gegründet, es ist ein Benefizkonzert für Bayreuth.
    Und dann gelingt es doch. Im letzten Augenblick habe er sich losgemacht, sei förmlich aus Basel weggelaufen, sagt Cosima. In Mannheim ist sie die Frau an seiner Seite, nein, er ist der Mann an ihrer Seite. Er führt sie in die Proben, dann ins Konzert. Er ist vor aller Welt in die Familie Wagner kooptiert, der ihr Nächststehende. Wir hatten die erste Etage im ›Europäischen Hof‹, meldet er nach Naumburg. Glanz, Ehre und Huld, dem anderen erwiesen, treffen ihn mit. Vor allem aber trifft ihn die Musik, stärker als je zuvor. Er hört nach dem Kaisermarsch, dirigiert von Richard Wagner, die Ouvertüre zur »Zauberflöte«, dann Beethovens 7. Symphonie, die Vorspiele zum »Lohengrin«, zu den »Meistersingern« sowie Vorspiel und Schlusssatz von »Tristan und Isolde«. An Rohde: Ach, mein Freund! Daß Du nicht dabei sein konntest! Was sind alle künstlerischen Erinnerungen und Erfahrungen, gemessen an diesen allerletzten! Mir gieng es wie einem, dem eine Ahnung sich endlich erfüllt. Denn genau das ist Musik und nichts sonst! Und genau das meine ich mit dem Wort »Musik«, wenn ich das Dionysische schildere, und nichts sonst! Wenn ich mir aber denke, daß nur einige hunderte Menschen aus der nächsten Generation das von der Musik haben, was ich von ihr habe, so

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