Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
sich wiedergefunden, konnte sich wieder mit sich befreunden. Und da machte er einer jungen Frau, der er eben erst begegnet war, einen Antrag, am Abend vor seiner Abreise. War es eine Art Panikreaktion? Mein Fräulein … Nehmen Sie allen Muth Ihres Herzens zusammen, um vor der Frage nicht zu erschrecken, die ich hiermit an Sie richte: Wollen Sie meine Frau werden? Ich liebe Sie und mir ist es als ob Sie schon zu mir gehörten. Kein Wort über das Plötzliche meiner Neigung! … Aber was ich wissen möchte, ist ob Sie ebenso empfinden wie ich – daß wir uns überhaupt nicht fremd gewesen sind, keinen Augenblick! « 372
Ich liebe Sie. – Wann klänge Friedrich Nietzsche derart prosaisch, wenn es sein Herz angeht? Aber es handelt sich um eine Frau. Gibt es da Unterschiede? Und dass er sich dieser dreiundzwanzigjährigen Klavierschülerin, die er nur kurz in Gesellschaft gesehen und gesprochen hat, nicht fremd fühlte, schien ihm schon außerordentlich.
Sich nicht mehr anwehen lassen. Aber ein abgelehnter Heiratsantrag heißt angeweht werden. Ein Mädchen hatte die Chance, den Autor der »Geburt der Tragödie« zu heiraten, und will nicht. Es ist niederschmetternd. Er hatte dem Fräulein trotzdem noch einen inständigen Entschuldigungsbrief geschrieben, sie so erschreckt zu haben. Er habe selber unsagbar an seiner grausamen gewaltsamen Handlungsweise gelitten: Ich will nichts erklären und weiß mich nicht zu rechtfertigen. Was hätte er Mathilde Trampedach auch sagen sollen? Dass alle seine Freunde heiraten und Richard Wagner meint, dass auch er es tun müsse? Dass er – mit einem Teil seiner Seele wenigstens – so sein möchte wie alle, nur um ungestörter er selbst sein zu können?
Er hat es so nötig, in ein Innen zu kommen. Nach Wagners Musik ist es, »als ob man in seiner eigentlichen Heimat gewesen wäre«, so glücklich und ruhig werde man, hatte ihm Malwida von Meysenbug eben noch mitgeteilt. So weiß er das auch. So braucht er es jetzt dringend. Doch das ist schon die gehobene Heimat, zur Grundausstattung einer Heimat gehört ein Bett. Innen ist, wo ein Bett ist. Und ein Tisch. Das sind in Bayreuth inzwischen fast unbezahlbare Güter. Er ist stolz darauf, die billigste Wohnung in ganz Bayreuth erobert zu haben. Dafür ist sie so furchtbar, dass er nur seine Tasche dort abstellt und zu Malwida läuft. Gute Auspizien sind das nicht. Die ganze Stadt, er spürt das sofort, ist eine einzige Festspielpreisblase. Ist das die Kultur, die zu unserer Musik passt? Beginnt so das Versöhnungswerk der Nation?
Das Jahr des Heils! Wenn er nur erst im Theater sitzt, »lang samer beglückt werdend«. In Bayreuth gewittert es, ein Gewit ter hat er auch in seinem Kopf, es währt schon einen halben Tag und eine Nacht, als er am Montag in die erste Probe geht. Er will nach Hause, jetzt. Es ist der 1. Aufzug der »Götterdämmerung«.
Er sitzt ganz starr. Hört er richtig? Er hört nicht das, was er glaubte hören zu werden. Vom »flüssigen Gold des Orchesterklangs« hatten die Freunde im letzten Sommer berichtet. Aber sein Kopf ist aus Blei, und Siegfried schmiedet darin sein Schwert Notung, mit tausend Hämmern. Vielleicht vertragen sich die Metalle nicht? Es gefiel mir gar nicht und ich mußte hinaus 373 , schreibt er der Schwester, und: Fast hab ich’s bereut! Denn bis jetzt war’s jämmerlich . Kaum hat er den Brief abgeschickt, beginnt es vorsichtig, ihm besser zu gehen.
Er hört die ganze »Götterdämmerung«. Ja, er gewöhnt sich daran, über das Ausmaß seiner Beglückung aber macht er nur eine vorsichtige Angabe; jetzt sei er in seinem Elemente . Es ist der 28. Juli. Dies ist der höchste Augenblick im Jahre des Heils, im Sommer des Heils, dass das Jahr, der Sommer des Unheils wird, aber das weiß er noch nicht. Er verbringt die Tage im schattigen Garten von Malwidas Wohnung, isst auch bei ihr und badet im Fluss. Ansonsten nur Kunst, fast nur Kunst: Gesehen habe ich ausser den Verwaltungsräthen Frau von Schleinitz, Porges, Baligand, Lallas, Heckel, Richter. Ich muß mich aber sehr zusammennehmen und weise alle Einladungen, auch bei W’s zurück. W fand daß ich mich rar machte. 374 Es ist Vorsicht, Abende in Gesellschaft bergen ein erhöhtes Kopfschmerzrisiko. Heute abend kommt der König, erfährt die Schwester an jenem 28. Juli, und: Er hat über meine Schrift telegraphirt, daß sie ihn entzückt habe. 375
Ja mehr noch, Seine Majestät hat nur wegen ihm ein Telegramm aufgeben lassen, nur von ihm ist
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