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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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zu kommen. So könne man sich langsam gewöhnen, würde »langsamer beglückt«.
    Langsamer beglückt werden!
    Welcher Verführung gegenüber könnte er aufgeschlossener sein! Zumal die Freundin die Sache auch unter gesundheitlichen Rücksichten begründet: Andernfalls würde es »zu viel, zu überwältigend für Sie sein«. Ja, darf er noch zögern? Er, der schon im letzten Sommer auf alles verzichten musste? Anfang Juli hatte er Cosima und Wagner je ein Festexemplar seiner Festschrift »Richard Wagner in Bayreuth« gesandt; der nunmehr, wie er nachlesen kann, Gottgleiche antwortete sofort: »Freund! Ihr Buch ist ungeheuer! – Wo haben Sie nur die Erfahrung von mir her?« 369 Aber wahrscheinlich hatte er nicht einmal Zeit darin zu lesen, wann denn? Auch Richard Wagner schlug Friedrich Nietzsche vor, schnell zu kommen, sogar mit denselben Worten: um sich besser an alles »zu gewöhnen«.
    Er kann jetzt keine akademischen Rücksichten mehr nehmen, der Professor fährt los, eine Woche vor Semesterschluss.
    Am ersten Tag schafft er es nur bis Heidelberg. Hier hatte er vor acht Jahren an seiner Antrittsvorlesung gearbeitet, dann die Weiterfahrt nach Basel spontan unterbrochen, um in Karlsruhe die »Meistersinger« zu hören. Wie anders weilt er jetzt hier. Jämmerlich.
    Malwida kennt ihn, sie kennt die Art seines Leidens, die Art seiner Gesundheit. Unsereins, ich meine Sie und mich, leidet nie rein körperlich, sondern alles ist mit geistigen Krisen tief durchwachsen, so daß ich gar keinen Begriff habe, wie ich je aus Apotheken und Küchen allein wieder gesund werden könnte 370 , hatte er sie informiert. Er meint auch das Geheimnis ihrer beider Genesung zu kennen: Es komme darauf an, eine gewisse Härte der Haut wegen der großen innerlichen Verwundbarkeit zu bekommen. Von aussen her darf uns wenigstens so leicht nichts mehr anwehen und zustoßen.
    Aber es geschieht noch immer. Gersdorff ist verlobt, von den Spießern Krug und Pinder nicht zu reden, die haben inzwischen schon Kinder. Mit »Tristan« fingen sie an und enden in den Wonnen der Gewöhnlichkeit. Aber jetzt auch noch Rohde, nur Tage vor seiner Abfahrt hat er es erfahren. Vielleicht ist er nicht zuletzt deshalb so überstürzt aufgebrochen, ist vor diesem Gedanken weggelaufen. Sei es zum Guten, lieber, getreuer Freund, was Du mir da meldest, hatte er ihm am 18. Juli geantwortet, … So willst Du denn im Jahre des Heils 1876 Dein Nest bauen, wie unser Overbeck, und ich meine, Ihr werdet mir dadurch daß Ihr glücklicher werdet, nicht abhanden kommen. 371 Das klingt nach Resignation, nach verzweifelter Selbstermutigung. Der Freund, er weiß es, habe eine ihm ganz vertrauende Seele nötig gehabt. Mir geht es anders, der Himmel weiß es oder weiß es nicht. Mir scheint das alles nicht so nöthig – seltne Tage ausgenommen. – Vielleicht habe er da eine böse Lücke in sich, sein Verlangen und seine Not seien anders, er könne das kaum erklären, höchstens mit dem Gedicht, das ihm in der Nacht einfiel. Wir dürfen annehmen, dass es eine schlaflose gewesen ist:
    Es geht ein Wandrer durch die Nacht
    Mit gutem Schritt;
    Und krummes Thal und lange Höhn –
    Er nimmt sie mit.
    Die Nacht ist schön –
    Er schreitet zu und steht nicht still,
    Weiß nicht, wohin sein Weg noch will.
    Da singt ein Vogel durch die Nacht. –
    – »Ach Vogel, was hast Du gemacht?
    Was hemmst Du meinen Sinn und Fuß
    Und gießest süßen Herzverdruß
    Auf mich, daß ich nun stehen muß
    Und lauschen muß,
    Zu deuten Deinen Ton und Gruß?«

    Der gute Vogel schweigt und spricht:
    »Nein, Wandrer, nein! Dich grüß ich nicht
    Mit dem Getön!
    Ich singe, weil die Nacht so schön:
    Doch Du sollst immer weiter gehn
    Und nimmermehr mein Lied verstehn!
    Geh nur von dann’ –
    Und klingt Dein Schritt von fern nur an,
    Heb’ ich mein Nachtlied wieder an,
    So gut ich kann.
    Leb wohl, Du armer Wandersmann!«
    Die Motive werden bleiben, die Einsamkeit auch. Der mit dem Vöglein redet, das alles weiß, was aus ihm werden soll, ist Siegfried. Der Wanderer aber, der Unbehauste, der melancholische Gott, ist Wotan. Er ist beides.
    So geredet zu mir, Nachts nach der Ankunft Deines Briefs, schreibt er unter sein Gedicht und schließt, grußlos, mit einem dürren F. N.
    Soll er, will er ganz allein bleiben? Er hat sich doch angestrengt, die Lücke zu schließen. Im April erst war er, schnell entschlossen, für vier Wochen nach Genf gereist, nach einer schweren fast unausstehlichen Zeit, dort hatte er

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