Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
Universität, in der sonderbaren gelehrten Luft, nicht mehr aushält 332 , weiß Wagner schon. Ich suche weiter nichts als etwas Freiheit, etwas wirkliche Luft des Lebens und wehre mich, empöre mich gegen das viele Unfreie, das mir anhaftet. Und wenn er es einmal abstreifen könnte, wer sagt ihm, dass es dann nicht zu spät ist? (M)an kommt zur Freiheit und ist matt wie eine Eintagsfliege am Abend. Das fürchte ich so sehr. Es ist ein Unglück, sich seines Kampfes so bewußt zu werden, so zeitig. 333
Wenn ein Brief aus Basel ankommt, registriert Cosima Wagner nicht selten eine merkwürdige Reaktion ihres Mannes, er wäre, »glaube ich, … am liebsten zu Ihnen geeilt, hätte sie gepackt, aus der Basler Atmosphäre hinausgerissen, und wäre Gott weiss wohin mit Ihnen gerast.« 334
Er will helfen, so gut er kann. Erst recht, solange keine Frau da ist. Friedrich Nietzsche wird 30 Jahre alt. Seine ältesten Freunde heiraten gerade, Pinder und Krug, die beiden Mitglieder des Schülerselbstbildungsvereins »Germania«. Gersdorff denkt darüber nach, das sagt er zumindest, denn er hat auch schon mit Wagner darüber konferiert, wie Friedrich Nietzsche am besten an die Frau zu bringen sei. Vielleicht sucht er nur zum Schein Rat bei seinem Freund, um dessen grundsätzliche Ehebereitschaft auszukundschaften. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Allergrößte Vorsicht!, rät Nietzsche dem Freund: Es ist furchtbar, wie die Männer, an ein inferiores Geschöpf gebunden, herunterkommen, und mitunter kommt es mir so vor als ob wir bessere Aufgaben hätten als dem ganzen Ehe-capitel unsre Aufmerksamkeit zu schenken. 335 Er will dem Freund mündlich gern mehr darüber sagen, er denke viel darüber nach, zu viel beinahe, über all das Für und Wider. Das Wider ist stärker.
Ob er das Richard Wagner genauso erklärt hat? Und dass er unter diesen Umständen doch die Oper vorziehe, schon weil alle Fehler, die diese dann zweifellos hätte, im Unterschied zu denen einer Frau selbstgemacht wären. Ja, er ist längst dabei, seine Oper zu komponieren, diesmal ist es ein »Hymnus an die Freund schaft«. Richard Wagner registriert es mit Verdruss. Das Stück könnte ebenso gut »Hymnus an die Männer« heißen, denn Freunde sind vor allem eins: Männer. Und als er mit dem »Hymnus an die Freundschaft« fertig ist, beginnt er einen »Hymnus an die Einsamkeit«. Nein, ein »Hymnus an die Liebe« ist von diesem Autor nicht zu erwarten.
Semesterschluss. Der Urheber des noch zu komponierenden »Hymnus an die Einsamkeit« fährt nicht gleich nach Bayreuth, schon weil es dort nicht einsam genug ist. Er ist ein Alleindenker, er kann nicht arbeiten mit Familienanschluss, also geht er zuerst nach Bergrün.
Als er wieder abfährt, wird ihm auf dem Bahnhof seine Reisetasche gestohlen. Der Dieb findet ein besonders schönes Exemplar des »Ring« darin, mit Widmung Richard Wagners an den Besitzer, der nun nicht mehr der Besitzer ist. Ohne Reisetasche, aber mit einer schweren Kolik trifft er in Bayreuth ein.
Am Nachmittag des 5. August 1874 wird ein Zettel in Haus Wahnfried abgegeben. Er sei da, liege aber mit Kolik in der »Sonne«. Richard Wagner geht sofort hin, holt den Kranken aus dem »Sonnen«-Bett, bringt ihn nach »Wahnfried« und legt ihn in sein Bett, in sein Zimmer. Die Wirkung ist großartig. Er erholt sich augenblicklich; die Gastgeberin vermerkt einen »heiteren Abend«.
Es wird eine Klindworth-Nietzsche-Woche im Haus Wahnfried. Karl Klindworth, Freund, Klaviervirtuose, Dirigent, Komponist kopiert die »Götterdämmerung« und spielt Nietzsche immer wieder daraus vor. Dieser hat neben seiner eigenen Musik auch noch das »Triumphlied« von Brahms mitgebracht. Ein frem des »Triumphlied« im Haus des Komponisten des »Kaisermarsches«! Und dann noch von Brahms! Brahms hat im Dezember auch den Maximiliansorden bekommen; als Wagner das erfuhr, wollte er den seinen gleich wieder zurückgeben, was seine Frau jedoch verhindern konnte. Jetzt kann sie nichts verhindern. Die vom Professor gepriesene Konkurrenz-Siegesweihe ist nun einmal im Hause, und Richard Wagner will ausprobieren, ob tatsächlich Töne entstehen, wenn man sie spielt. Also spielt er und möchte sich am liebsten die Ohren zuhalten. »Das ist Händel, Mendelssohn und Schumann, in Leder gewickelt«, lautet sein Befund. »R. wird sehr böse.« 336
Und das geschieht jetzt noch öfter. »Manch schwere Stunde« verursacht der Gast dem Hausherrn. Denn nicht nur, dass der Professor
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