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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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darin die Rede: »An den Wort-Tondichter Hrn. Richard Wagner … Empfangen Sie, theuerster Freund, meinen wärmsten Dank für die kürzlich mir über sandte Broschüre von Nietzsche, deren Lektüre ich sofort begann und die mich außerordentlich fesselte. Tausend herzl. Grüße Ludwig.« 376
    Doch im Datum der königlichen Ankunft irrt Friedrich Nietzsche. Ludwig kommt erst am 6. August, zu Beginn der Generalproben, bei denen er ganz allein sein will. Eigentlich dachte er daran, den kompletten »Ring« zwei Mal nur für sich aufführen zu lassen, sah dann allerdings die Unmöglichkeit seines Wunsches ein. Der König zeigt das gleiche Festspiel-Sozialverhalten wie Friedrich Nietzsche. Er möchte möglichst niemanden sehen, er drückt dies nur viel gebieterischer aus: »Alles, was an eine Ovation von Seiten der Bevölkerung auch nur streift, wünsche ich fern gehalten; Tafeln, Audienzen, Besuch fremder Herrschaften wird hoffentlich mir erspart bleiben; Alles dieß hasse ich mit aller Macht der Seele.« 377
    Die Bayreuther haben den Königssalon ihres Bahnhofes vergeblich geschmückt. In der Nacht zum 6. August geht der Festspieldirektor auf freier Strecke weit vor Bayreuth an den Bahngleisen auf und ab. Kurz nach Mitternacht hält dort, mitten im Nichts, ein Zug mit drei Salonwagen, einem Gepäckwagen und einem Waggon für die Dienerschaft. Die königliche Equipage fährt vor. Richard Wagner tritt auf den König zu, sie haben sich über so viele Jahre nicht gesehen. Kein Wort, sie geben sich stumm die Hand und fahren gemeinsam zum Schloss Eremitage, wo Ludwig wohnen soll.
    In der Nacht angekommen, sitzt der König schon am Abend im »Rheingold«, und am nächsten Morgen um zwei Uhr ist er immer noch wach. Er schreibt dem Kapellmeister seines Lebens: »Großer, herrlicher, treu und fest u. innigst geliebter Freund! Es ist mir unmöglich den … Tag zu beschließen, ohne Ihnen es zuzujubeln, wie wahrhaft glücklich mich der heutige Abend gemacht hat. Das sind Eindrücke, die immerdar in mir fortleben werden. Kaum kann ich den morgigen Abend erwarten.« 378 Da gibt es die »Walküre«, er weiß es: »¾ auf 2 Uhr Nachts (der Wal kürentag brach an) Ihr Eigen Ludwig«, unterzeichnet der König. Ist es königlicher Leichtsinn, sich so zu freuen?
    Friedrich Nietzsche ist nicht mehr in Bayreuth. Nach der letzten »Walküren«-Probe floh er: Fortwährender Kopfschmerz, ob wohl noch nicht von der schlimmsten Art, und Mattigkeit. Gestern habe ich die Walküre nur in einem dunkeln Raume mit anhören können; alles Sehen unmöglich! Ich sehne mich weg, es ist zu unsinnig wenn ich bleibe. Friedrich Nietzsches Stimme! Hätte er es noch vor Tagen, noch vor Stunden für möglich gehalten, dass er je so über Wagners Musik sprechen würde? Nun gut, er hat Kopfschmerzen, starke Kopfschmerzen, aber er hat ohne jeden Zweifel auch Kunstschmerzen, starke Kunstschmerzen. Ja mehr noch: Mir graut vor jedem dieser langen Kunst-Abende. 379
    Dabei hat er nicht einmal die früheren »Walküren« erlebt: 21. Juni: »Dritte Walküren-Probe, viel Ärger. Unrichtige Tempi des Orchesters, und Frl. Scheffsky beinahe unmöglich.« 380 Fast drei Wochen später, 17. Juli: »Erster Akt, … Frl. Scheffsky furchtbar! … R. sehr müde.« 18. Juli: »Zweiter Akt Walküre, Frl. Scheffsky noch gräßlicher; vorher zu Tisch, ein Exzeß von Plumpheit und Anmutslosigkeit! Konferenz, ob man sie um jeden Preis entfernt?« 381 Dabei hatte Richard Wagner ihr – Sieglinde – sogar selbst vorgemacht, wie sie Siegmund zu küssen habe, und war dem baumlangen Tenor Niemann in äußerstem Realismus um den Hals gefallen.
    Denn äußersten Realismus verlangt er.
    Die Walküren unter ihren Helmen, mit Schilden und Speeren bewaffnet, dampften. Vor Angst. Vor ihm. Vier Tage später trat ein lebensmüder Festspieldirektor nachts auf seinen Balkon und sprach mit seinem Sternbild, dem Wagen: »Beschütze mein Weib und meine Kinder, guter Stern, mit mir mache, was du willst.« 382 Er hatte die Proben mit einem Zahnfleischgeschwür begonnen, es schmerzt noch immer.
    Auch Friedrich Nietzsche schreibt wie der König am 6. August einen Brief, aber nicht an Richard Wagner, sondern an seine Schwester. Sie wird gleich in Bayreuth eintreffen und ihn nicht vorfinden; er will ihr wenigstens sagen, wo er ist: in Klingenbrunn im Bayrischen Wald. Er hatte ihr schon mitgeteilt, an wen sie seine Karten verkaufen soll, an Baseler Bekannte: Biete Mutter und Sohn 8 Billette zum zweiten

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