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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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nicht irren kann!« 385 So sah Friedrich Nietzsche das bisher auch.
    Am selben Tag, an dem Ludwig dies schreibt, treffen Friedrich Nietzsche und der deutsche Kaiser in Bayreuth ein. Bayreuth hat sich mit einem metallblauen Himmel geschmückt, um sie zu begrüßen, und ist vor lauter Flaggen, Girlanden und Kränzen kaum zu sehen. Ersteren hatte Wagner dringend zurückrufen lassen, der zweite hingegen staunt aufrichtig, dass er da ist: »Ich habe nicht geglaubt, daß Sie es zustande bringen würden«, sagt Wilhelm I. zu Richard Wagner.
    Selbst unparteiische Beobachter registrieren eine Atmosphäre, wie sie sonst nur auf Sänger- und Schützenfesten herrsche. Und dann kommt auch noch der Kaiser von Brasilien. Und wäre nicht gerade Orientkrieg, wären auch der Khedive von Ägypten und türkische Sultane da, schließlich sind sie Patronatsherren. Der parteiische Beobachter: Man hatte das ganze müßiggängerische Gesindel Europas bei einander, und jeder beliebige Fürst ging in Wagners Hause aus und ein, wie als ob es sich um einen Sport mehr handelte. … Den Nicht-Aristokraten ergeht es kaum besser, im Gegenteil: Der arme Wagner! Wohin war er nur gerathen! – Wäre er doch wenigstens unter die Säue gefahren! Aber unter Deutsche! 386 So wird er später klingen, jetzt registriert er nur von Tag zu Tag fassungsloser, womit er nie gerechnet hatte: Wenn jemand nicht weiß, was es bedeutet, einen Staat auf Musik zu gründen, dann doch wohl diese Gesellschaft des Sommers des Heils – des Sommers des Unheils – 1876. König Ludwig vielleicht ausgenommen. Doch der ist weg. Friedrich Nietzsche aber harrt aus. Es kommt darauf an, die Kultur zu finden, die zu unserer Musik passt, hat er gesagt. Er möchte sich so gern widerlegen lassen. Am 27. August verlässt er Bayreuth, unwiderlegt.
    Friedrich Nietzsche hat den Mittelpunkt seiner Welt verloren. Richard Wagner nicht. In der zweiten Septemberhälfte telegrafiert er aus Venedig: »Bitte zusendung zweier Paar seiedeneren (sic!) unterjacke und hosen baseler fabrikant feinste Waare mitwoch an Bologna hotel Italie Bis dahin venedig hotel Europa. Richard Wagner.« 387
    *
    In der Nacht zum 26. Oktober 1876 gehen drei Seereisende in Neapel an Land. Sie kommen von Genua und wollen in die Pension Allemande. Sie werden erwartet. Malwida von Meysenbug hat Friedrich Nietzsche eingeladen, mit ihr gemeinsam im Süden den Winter zu überstehen; Nietzsche wiederum hat Paul Rée eingeladen, und beide Albert Brenner, einen Studenten Nietzsches, der so schwer lungenkrank ist, dass niemand sagen kann, wie viele Winter er überhaupt noch überstehen wird. Am Morgen glänzt die Stadt, über dem Vesuv stehen hohe Gewitterwolken, es ist eine heroische Landschaft, Friedrich Nietzsche ist beeindruckt. Malwida von Meysenbug kann sich nicht erinnern, ihn je so euphorisch gesehen zu haben. Noch wissen sie nicht, wohin.
    Zu Wagners nach Sorrent?
    Richard Wagner erholt sich in Sorrent von den Festspielen. Cosima, er und die Kinder wohnen im Hotel Vittoria, sie sind schon länger da und wollen noch länger bleiben.
    Richard Wagner sitzt an diesem 27. Oktober lange auf seiner Terrasse, vierzig Meter über dem Meer, direkt am Fels. Vielleicht denkt er darüber nach, ob man die 160 000 Mark Festival-Defizit nicht einfach im Mittelmeer versenken könnte. Oder die Festspiele wenigstens dem Deutschen Reich übergeben? Da stehen Malwida und ihre drei Männer in der Tür und ein Telegramm kommt von Judith Gautier aus Paris. Siegfrieds Trauermarsch habe unglaublichen Erfolg bei den Pasdeloupschen Konzerten: Kämpfe im Publikum, bisher zwei Duelle. Am nächsten Morgen hat Malwida Geburtstag. Sie besuchen sich abwechselnd, gehen spazieren, reden. Die Amalfi-Küste – erinnert sie nicht an Tribschen, verwandt in ihrem Zugleich von Härte und Sanftheit?
    Und doch, es ist nicht wie früher. Sie finden nicht die alte Nähe zueinander, etwas steht zwischen ihnen. Ist es Rée? Zum ersten Mal missfällt Cosima und Richard Wagner ein Freund Nietzsches. Sie vermerken ein »kaltes pointiertes Wesen«, er müsse, notiert Cosima, »Israelit« sein. Er ist es.
    Am 2. November, zu Allerseelen, machen sie einen langen gemeinsamen Spaziergang. An diesem Tag hatte Richard Wagner Friedrich Nietzsche einst seine Gesamtausgabe geschenkt. Haben sie jetzt ihren Abendmahlsstreit?
    Richard Wagner besaß schon immer ein eher erotisches Ver hältnis zum Abendmahl. Als er konfirmiert wurde – längst pflegte er sich über Kirche und Priester

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