Niewinter 01 - Gauntlgrym
Niewinter immer schriller und lauter, bis sie im Gebrüll von hundert Drachen untergingen. Dann folgte das Getöse von immer mehr Häusern, die einstürzten, und Wasser zischte laut, als die heiße Lava den Fluss erreichte.
Barrabas wagte keinen Blick auf das, was dicht unter ihm hindurchströmte, doch er fühlte die sengende Hitze, als säße er direkt vor dem heißen Feuer eines Waffenschmieds. Die Brücke erzitterte, und er fürchtete schon, sie würde nachgeben und ihn dem sicheren Tod überlassen.
Es hörte einfach nicht auf – das Donnern, das Feuer, die brennenden Steine, die vom Himmel fielen, die Verwüstung der gesamten Stadt.
Und dann war es vorbei. So plötzlich, wie die erste tosende Woge seine Ohren erreicht hatte, wurde es still.
Totenstill.
Kein Schrei, kein Stöhnen, keine Klage. Eine sanfte Brise, sonst nichts.
Lange Zeit später, nach einer Stunde oder mehr, wagte Barrabas der Graue unter der Erzgo-Alegni-Brücke hervorzukriechen. Er musste seinen Mantel vors Gesicht halten, um sich vor der brennenden Asche zu schützen, die noch immer in der Luft hing.
Alles war grau, tief unter der Asche und tot.
Niewinter war tot.
Teil 2
Des Königs Mannen
Die Kämpfe werden mehr, und das freut mich.
Die Welt um mich herum wird dunkler und gefährlicher … und das freut mich.
Hinter mir liegt ein abenteuerlicher Lebensabschnitt, der jedoch erstaunlich friedlich verlaufen ist, obwohl Bruenor und ich durch aberhundert Tunnel gestiegen und so tief ins Unterreich vorgedrungen sind wie seit meiner letzten Rückkehr nach Menzoberranzan nicht mehr. Natürlich haben wir gekämpft, meist mit dem übergroßen Ungeziefer, das solche Orte bewohnt, dazu ein paar Gefechte mit Goblins und Orks, hier drei Trolle, da ein Oger-Clan. Aber es gab nie einen größeren Kampf, nichts, was meine Säbel ernsthaft gefordert hätte, und das Gefährlichste, was ich seit unserer Abreise aus Mithril-Halle vor all den Jahren erlebt habe, war das Erdbeben, das uns beinahe verschüttet hätte.
Doch nun stelle ich fest, dass die Lage sich ändert, und das freut mich. Seit der Katastrophe vor zehn Jahren, als der Vulkan erwachte, auf seinem Weg vom Berg zum Meer einen Pfad der Verwüstung hinterließ und Niewinter in Schutt und Asche legte, hat die Region sich verändert, beinahe als ob jenes Ereignis eine Zeit des Kämpfens eingeläutet hätte, wie ein Fanfarenstoß für alle bösen Wesen.
Gewissermaßen war es das wohl auch gewesen. Die weitgehende Zerstörung von Niewinter hat den Norden von den zivilisierteren Gegenden der Schwertküste getrennt, wo jetzt Tiefwasser die Speerspitze gegen die Wildnis darstellt. Händler gelangen nur noch auf dem Seeweg zu uns, und die einstigen Schätze von Niewinter ziehen Abenteurer, meist unangenehme, gewissenlose Gestalten, in großer Zahl in die verwüstete Stadt.
Manche bemühen sich verzweifelt um den Wiederaufbau und die Wiederbelebung der geschäftigen Hafenstadt, die in diesem unwirtlichen Land einst für Ruhe und Ordnung sorgte. Aber sie kämpfen so viel, wie sie bauen. In der einen Hand tragen sie den Zimmermannshammer, in der anderen den Kriegshammer.
Denn es gibt Feinde in Hülle und Fülle: Shadovar, diese seltsamen Kultanhänger, die einen teuflischen Gott verehren, Wegelagerer, die jedem auflauern, Goblins und dergleichen, Riesen und lebende und untote Monster aller Art. Und noch andere Kreaturen, dunklere Wesen aus tieferen Löchern.
In den Jahren seit der Katastrophe ist die Schwertküste dunkler geworden.
Und das gefällt mir.
Wenn ich kämpfe, bin ich frei. Nur wenn meine Säbel ein böses Wesen töten, habe ich das Gefühl, dass mein Leben einen Sinn hat. Wie oft habe ich mich gefragt, ob diese innere Wut lediglich das Spiegelbild meines Erbes ist, das ich nie wirklich abgeschüttelt habe. Die Konzentration auf die Schlacht, die Lust am Kampf, die Zufriedenheit, wenn ich siege … Ist all das letztlich das Eingeständnis, dass ich doch nur ein Drow bin?
Und wenn das stimmt, was weiß ich dann wirklich über meine Heimat und mein Volk, und was ist nur meine Karikatur einer Gesellschaft, deren Wurzeln sich in Leidenschaft und Lust gründen, die ich einfach noch nicht begriffen, geschweige denn erlebt hatte?
Ich frage mich – und ich fürchte die Antwort –, ob womöglich eine tiefere Weisheit in den Oberinmüttern von Menzoberranzan verborgen lag, ein Verständnis für das Glück und die Bedürfnisse der Drow, das die Dauerkriege in der Stadt der Drow
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