Niewinter 4: Die letzte Grenze
irritierte ihn eher. Er suchte den Horizont ab, wie der Kapitän es befohlen hatte, und hoffte, etwas zu entdecken. Zu seiner Enttäuschung fand er nichts.
Drizzt brauchte einen Kampf.
Schon seit zwei Zehntagen sehnte er sich danach. Nach seinem Wortwechsel mit Effron hatte der Drow unwillkürlich immer wieder die Fäuste geballt, meist wenn Artemis Entreri in Sicht kam.
Jetzt blickte er auf das Deck hinunter, wo Entreri im vorderen Bereich hockte und Brot aß. Dahlia saß nicht weit entfernt und arbeitete an den Leinen, während der Steuermann sich bemühte, die Segel voll im Wind zu halten.
Dass die beiden im selben Bereich saßen, störte ihn, und seine Phantasie führte ihn an wahrhaft dunkle Orte. Er schüttelte die Bilder ab und versuchte, wieder rational zu denken, suchte nach der Grenze, an der Drizzt endete und Dahlia begann. Dabei konzentrierte er sich nicht auf den Anspruch, den er an die Frau stellte, sondern vielmehr auf den Gedanken, dass jeglicher derartige Anspruch anmaßend war.
Dennoch merkte der Drow, dass er die Zähne zusammenbiss. Für den Übergang zwischen Gefühlen und Logik gab es schließlich keine sauber markierten Grenzsteine.
»Memnon?«, fragte Dahlia den Kapitän nach Drizzts Ruf.
»Mit der Morgenflut«, bestätigte der Kapitän.
Erschrocken warf Dahlia einen Blick auf Entreri. Es ging ihr nicht nur um die Möglichkeit, dass er gehen könnte, wie er angedeutet hatte, sondern auch um die bevorstehende Entscheidung bezüglich Effron, die jetzt unvermeidbar war. Dahlia hatte ihren Sohn auf der Reise kaum gesehen, weil sie seine Bewachung bereitwillig Afafrenfere und Ambergris übertragen hatte. Auch wenn angesichts von Effrons offensichtlicher Verzweiflung wohl kaum viel Überwachung erforderlich war. Ambergris hatte allen wiederholt versichert, dass Effron mehrfach Gelegenheit zur Flucht gehabt hätte, weil er immerhin den Schattenschritt beherrschte. Wenn er damit ins Schattenreich zurückkehren wollte, könnte ihn nur ein sofortiges, massives Eingreifen davon abhalten, und im Laufe der Zehntage hätte er sicher viele Male fliehen können.
Jetzt aber drohte mit Memnon der nächste Hafen, und Cannavara hatte der Mannschaft angekündigt, dass sie zehn Tage, vielleicht sogar zwanzig, bleiben würden, weil an Rumpf und Masten der Elritze verschiedene Reparaturen anstanden.
Mit einem Stoßseufzer machte Dahlia sich auf den Weg nach unten.
»Moment mal, Kleine!«, sagte Cannavara zu ihr. »Wo willst du hin?«
»Ich habe etwas zu erledigen.«
»Du hast nichts anderes zu erledigen als deine Arbeit an dem Tau da. Hier auf dem letzten Stück nach Memnon sind Piraten unterwegs, und bis wir sicher im Hafen liegen, versäumt hier keiner seine Pflichten.«
Dahlia wandte sich von ihm ab. »Entreri!«, rief sie, und dieser sah sich um. Sie nickte zu ihrem Posten hin, machte ein bittendes Gesicht und zuckte mit den Schultern.
Artemis Entreri nahm sich noch ein Stück Brot, nickte und übernahm ihren Platz.
Daraufhin drehte sich Dahlia wieder zum Kapitän um, der sich jedoch bereits um etwas anderes kümmerte.
Die Elfe schenkte Drizzt keinen Blick, als sie zu der offenen Luke auf dem Achterdeck ging.
»Geht«, wies sie die Zwergin und den Mönch an, während sie hinunterstieg.
»Aye, für solche Spielchen sind wir aber schon zu nahe«, bemerkte Ambergris.
Dahlia zuckte nicht mit der Wimper und sah die Zwergin gar nicht an, denn ihre Augen hingen an der kleinen Gestalt, die gegenüber in einer Hängematte lag.
»Dann fessle ihn«, wies Ambergris den Mönch an.
Noch ehe Afafrenfere einen Schritt gemacht hatte, wiederholte Dahlia: »Geht!« Ihr Tonfall erlaubte keinen Widerspruch.
Die Zwergin und der Mönch wechselten achselzuckend einen Blick. Im Moment schien es ihnen beiden egal zu sein.
»Tu, was du tun musst«, meinte Ambergris und ging.
»Wir sind bald im Hafen«, sagte Dahlia, als sie mit Effron in dem kleinen Verschlag allein war.
Er sah nicht einmal zu ihr hin.
»Memnon«, erklärte sie und schob einen Stuhl an seine Hängematte. »Eine exotische Stadt, so weit ich gehört habe. Im Süden und ganz anderes als …«
»Was interessiert mich das?«, unterbrach er sie, ohne sich nach ihr umzudrehen.
»Sieh mich an«, bat sie ihn.
»Raus«, erwiderte er.
Mit einem Satz sprang Dahlia auf, packte Effron und riss ihn so unsanft herum, dass er aus seiner Hängematte auf den Boden kippte. Sofort rappelte er sich hoch. Seine Augen, das tieflingsrote und das elfenblaue, blitzten
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