Niewinter 4: Die letzte Grenze
eingedrungen!«
»Von Guenhwyvar«, stellte Drizzt klar. »Du hast mir etwas gestohlen, das dir nicht gehört.«
»Ach ja, natürlich«, sagte Draygo Quick. »Die Katze. Wie bereits erwähnt, du bist in etwas hineingeraten, das du nicht annähernd überblicken kannst, aber vielleicht besteht noch Hoffnung für uns beide. Ich glaube nicht, dass ich die Katze noch brauche, wenn wir fertig sind, deshalb könntest du ihre Gefolgschaft vielleicht zurückerhalten.«
Bei diesen Worten beugte Drizzt sich unwillkürlich vor, ehe er seine verräterische Haltung korrigierte. Er würde sich keine falschen Hoffnungen erlauben.
Der Nesser-Fürst würde ihn niemals laufen lassen, schärfte er sich unablässig ein.
Dieses innere Mantra wiederholte er wieder und wieder, wenn Draygo ihn bei seinen täglichen Besuchen nach seiner Vergangenheit, den Priesterinnen von Lolth und seinem Leben auf der Oberfläche gemäß den Lehren der Göttin Mielikki und den Gebräuchen der Waldläufer befragte.
Anfangs gab Drizzt keine Antwort, aber diese Sturheit hielt nicht ewig an. Einige Zehntage später begann er, sich auf die Besuche zu freuen.
Denn Draygo wurde stets von Wärtern begleitet, die seine Nahrung brachten, und dieses Essen wurde immer besser. Inzwischen fütterte ihn ein junger Schatten – ein Kind –, der sich deutlich Mühe dabei gab, es ihm angenehmer zu machen.
Eines Tages tauchte Draygo Quick in Begleitung von drei kräftigen Wachen auf. Zwei flankierten Drizzt und reckten sich nach seinen Ketten.
»Wenn du auch nur Anstalten machst, dich zu wehren, martere ich Effron vor deinen Augen zu Tode«, warnte ihn Draygo Quick kühl, ehe er ging.
Die Wachen stülpten Drizzt eine schwarze Kapuze über und trugen ihn aus der Zelle, um ihn irgendwo oben im Turm abzuliefern. Man setzte ihn auf einen Stuhl, wo er die Kapuze abnehmen, baden und sich anziehen sollte.
»Fürst Draygo wird bald zu dir kommen«, sagte eine der Wachen, ehe sie abzogen.
Drizzt sah sich in seinem neuen Zimmer um. Es war behaglich eingerichtet, sauber und warm. Im ersten Moment überlegte er, wie er von hier entkommen könnte, verwarf diesen Gedanken jedoch sofort. Draygo Quick hatte Effron und Guenhwyvar. Und wo sollte er überhaupt hin?
Der Nesser-Fürst hatte ihm erklärt, dass er in etwas weit Größeres hineingeraten war. Zu diesem Zeitpunkt und an diesem verwirrenden Ort hatte Drizzt keine Zweifel daran.
Teil 4
Eiswindtal
Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass mein Zorn keinem Ziel mehr galt.
Zwar spürte ich immer noch Ärger, Frustration und ein tiefes, anhaltendes Gefühl des Verlusts, aber das Ziel dieses Ärgers wich einem eher allgemeinen Abscheu vor der Ungerechtigkeit und Härte des Lebens an sich.
Ich musste mich ständig ermahnen, mir die Wut auf Draygo Quick zu erhalten.
Was für eine eigentümliche Erkenntnis das war, die mich überrollte wie ein Brecher an der Küste von Luskan. Ich erinnere mich genau an diesen Moment, als alles auf einmal geschah (wohingegen der Verlust meines Ziels viele Monate dauerte). Ich ruhte in meinem Zimmer im Wohnsitz von Draygo Quick, schwelgte im Luxus, aß gute Speisen und hatte sogar mein eigenes kleines Weinregal, das Draygo Quicks Dienerschaft für mich füllte, als ich plötzlich fassungslos feststellte, wie sehr ich mich Draygo Quick verbunden fühlte. Vielleicht auch nicht verbunden, aber immerhin war ich nicht mehr wütend auf ihn.
Wie war es dazu gekommen?
Warum war es dazu gekommen?
Dieser Nesser-Fürst hatte mich unter entsetzlichen Bedingungen eingekerkert und mich später in einer finsteren, stinkenden Zelle angekettet. Er hatte mich jedoch nicht offen gefoltert, auch wenn seine Wachen oft grob mit mir umgesprungen waren – mit Schlägen und nicht wenigen Tritten in die Rippen. Und war meine Haft nicht an sich schon eine groteske Form der Folter?
Dieser Nesser-Fürst hatte eine Medusa auf meine Gefährten gehetzt, auf meine Geliebte und auf den letzten Menschen, der mich noch mit jenen lange vergangenen Zeiten verband. Sie waren tot. Dahlia, Entreri, Ambergris und Afafrenfere waren versteinert, aufgrund von Draygo Quicks Machenschaften.
Andererseits waren wir in sein Haus eingedrungen … Dieser mildernde Gedanke schien ständig präsent zu sein und wurde von Tag zu Tag stärker, je mehr mein Befinden sich besserte.
Und das war der Schlüssel dazu, begriff ich. Draygo Quick hatte ein subtiles, quälendes Spiel mit mir und Effron gespielt, indem er unser Leben langsam
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