Niewinter 4: Die letzte Grenze
es ist, wenn man nirgendwo dazugehört?«
Drizzt brach in Gelächter aus, und Effron hatte keine Ahnung, was der Drow gerade so komisch fand. Der Tiefling sah zu, wie Drizzt herüberkrabbelte und sich vor ihn setzte.
»Anscheinend haben wir Zeit«, meinte Drizzt. »Vermutlich eine ganze Menge, sofern deine Mutter und die anderen uns nicht finden.«
Effron sah ihn prüfend an. Er wurde aus seinem Gegenüber nicht schlau.
»Vielleicht ist es an der Zeit, mehr Verständnis füreinander zu entwickeln. Um deiner Mutter willen«, erklärte Drizzt. »Ich will dir erzählen, was ich davon weiß, nicht zur eigenen Familie oder – wie ich viele Jahre glaubte – nicht einmal in die eigene Haut zu gehören.«
Und dann erzählte ihm Drizzt eine Geschichte, die vor zweihundert Jahren in der Unterreichstadt Menzoberranzan begonnen hatte. Anfangs rümpfte Effron über diesen scheinbar durchsichtigen Versuch, ein Band zwischen ihnen zu knüpfen, die Nase – was hatte er überhaupt mit diesem Drow zu schaffen? Aber diese Reaktion ließ bald nach, und er hörte immer aufmerksamer zu.
Er staunte, als der Drow jenen dekadenten Ort, Menzoberranzan, und seine Familie im Haus Do’Urden beschrieb, ein Leben, das dem von Effron in Draygo Quicks Burg gar nicht so unähnlich war. Drizzt berichtete von den Drow-Schulen für Krieger, Priesterinnen und Magie und die unausweichliche Indoktrinierung, die mit der jeweiligen Ausbildung einherging. Die verschlungenen Wege von Menzoberranzan faszinierten Effron dermaßen, dass er jene düsteren Straßen lebhaft vor Augen hatte und lange nicht merkte, dass Drizzt nicht mehr weitersprach.
Er sah auf und starrte in die Augen des Drow, die das bläuliche gedämpfte Licht der Gitterstäbe zurückwarfen.
Danach erzählte Drizzt ihm die nächste Geschichte, die von dem Überfall auf der Oberfläche, bei dem seine Begleiter einen Elfenclan abgeschlachtet hatten. Er beschrieb, wie er ein Elfenmädchen gerettet hatte, indem er es mit dem Blut seiner eigenen Mutter beschmierte.
Diese Erinnerung machte Drizzt sichtlich zu schaffen, und seine Stimme wurde sehr leise, so dass er regelrecht zusammenschreckte und auffuhr, als Effron wütend einwarf: »Wärst du doch da gewesen, bevor Dahlia mich von der Klippe warf!«
Lastendes Schweigen breitete sich aus.
»Du hast noch nicht deinen Frieden mit ihr gemacht«, sagte Drizzt. »Ich dachte …«
»Mehr als mein Einwurf und mein Ton verraten«, erwiderte Effron, und das war sein Ernst. Er senkte den Blick, schüttelte den Kopf und gestand: »Es ist nicht leicht.«
»Sie ist manchmal schwierig. Ich weiß«, sagte Drizzt.
»Sie liebt dich.«
Effron bemerkte Drizzts Abwehr und erkannte, dass dieses Gefühl womöglich nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Das erklärte natürlich, warum Drizzt ihre Liebelei mit Artemis Entreri so klaglos hingenommen hatte.
»Als ich Menzoberranzan verließ, dachte ich ganz ähnlich wie du«, sagte Drizzt, womit er Effrons Aufmerksamkeit zurückgewann. »Es dauerte viele Jahre, bis ich lernte, anderen zu vertrauen, und noch länger, um die Schönheit und die Liebe zu erkennen, zu denen ein solches Vertrauen führen kann.«
Er kehrte zu seiner Geschichte zurück und erzählte weiter von Menzoberranzan, auch von seinem eigenen Vater und wie Zaknafein letztlich doch den Sieg über die grausamen Priesterinnen der Lolth errungen hatte. Dann beschrieb er seine Reise durch das Unterreich und den Weg, der ihn am Ende zur Oberfläche geführt hatte.
Seine Geschichte wurde unterbrochen, weil ihnen der Magen knurrte, und beide ihre Vorräte überprüften. Dennoch bat Effron den Drow, während des Essens und auch danach weiterzusprechen, bis sie sich wieder schlafen legten. Drizzt hatte Effron bis an eine kalte Bergflanke geführt, Kelvins Steinhügel, und ihm versprochen, ihm noch von den besten Freunden zu berichten, die man sich nur erhoffen konnte.
Und Drizzt blieb reichlich Zeit, seine Geschichten zu erzählen, denn die Tage verstrichen, und niemand, weder Draygo Quick und dessen Bedienstete noch Dahlia und die anderen, tauchte bei ihnen auf.
Bald war ein Zehntag verstrichen. Inzwischen hatte auch Effron erzählt, wie er im Schatten von Erzgo Alegni und unter der harten Knute von Fürst Draygo Quick aufgewachsen war.
Allmählich gingen ihnen Nahrung und Wasser aus. Noch immer saßen sie in ihren eigenen Ausscheidungen fest, und beide fragten sich inzwischen, ob Draygo sie wohl nur hier gefangen hielt, um sie in diesem
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