Niewinter 4: Die letzte Grenze
dem Horizont versank und die winterliche Dämmerung hereinbrach, flammten tief im Süden zahlreiche Lagerfeuer auf. Die Reiter dort unten würden diese Feuer kaum sehen können, dachte Dorwyllan. Jetzt hielten sie an und zündeten selbst Fackeln an.
Dorwyllan setzte sein Horn an die Lippen und blies einen langgezogenen, klagenden Ton.
Kurz darauf kam das Echo von Süden her.
Der Elf blickte nach unten, wo die Luskaner Patrouille sich zusammenscharte. Einige zeigten in seine ungefähre Richtung, was ihn jedoch wenig besorgte. Diese Deckschrubber, die das raue Meer gewohnt waren, würden ihn im nächtlichen Wald niemals finden.
Was sie allerdings offenbar auch nicht vorhatten. Dorwyllan nahm das als Zeichen dafür, dass die dummen Seeräuber keine Ahnung hatten, dass diese Hornsignale den Treck gewarnt hatten. Der eine Ton hatte den Abziehenden gezeigt, dass sie mit maximal zehn Soldaten zu rechnen hatten. Darauf waren sie nun eingestellt.
»Der hat schon immer viel Aufmerksamkeit erregt«, bemerkte Gromph sichtlich amüsiert.
»Er ist nicht schwer zu finden«, erwiderte Kimmuriel.
»Jarlaxle kommt doch ständig mit ihm zusammen.«
Kimmuriel nickte. Das war allerdings richtig. »Aber Ihr seht Jarlaxle beinahe so oft wie ich.« Fast hätte der Psioniker »Euren Bruder« gesagt, hatte sich dann jedoch weise zurückgehalten. »Ich habe mich schon oft gefragt, warum der Erzmagier den Renegaten nicht einfach ausfindig macht und tötet, ein für alle Mal. Für jemanden von Euren magischen Fähigkeiten dürfte Drizzt Do’Urden doch kein Problem darstellen.«
»Gewiss nicht.«
»Warum also?«
»Warum nicht Bregan D’aerthe?«, erwiderte Gromph zurück. »Würde die Trophäe von Drizzts Kopf Euren Status und Eure Preise nicht beträchtlich erhöhen?«
»Jarlaxle«, antwortete Kimmuriel ohne Umschweife. »Er hat vor langer Zeit beschlossen, dass Drizzt uns nichts angeht, und uns allen ausdrücklich verboten, seinetwegen auf Kopfgeldjagd zu gehen.«
»Und woran könnte das liegen?«
»Persönliche Freundschaft vermutlich«, sagte Kimmuriel. »Das war immer Jarlaxles größte Schwäche.«
»Mehr als das«, meinte Gromph.
»Warum also nicht Ihr selbst? Ihr könntet ihn finden und loswerden.«
»Wozu?«
»Als Trophäe!«
»Ich bin der Erzmagier von Menzoberranzan, und diese Position habe ich schon länger inne, als Ihr am Leben seid. Ich habe alle Reichtümer, alle Macht, allen Luxus, alle Zeit und alle Freiheit, die ein Mann sich in Menzoberranzan je erhoffen kann. Was sollte Drizzts Tod mir bringen?«
»Er hat Mitglieder Eurer Familie getötet.«
»Das habe ich auch.«
Kimmuriel hatte wenig Humor, aber angesichts der Selbstverständlichkeit, die bei dieser Aussage in Gromphs Stimme mitschwang, hätte er beinahe aufgelacht. In der Tat waren derartige Ereignisse bei den mächtigen Häusern von Menzoberranzan praktisch an der Tagesordnung.
»Mögt Ihr ihn?«, fragte der Psioniker.
»Ich kenne ihn nicht und habe auch nicht vor, das zu ändern.«
»Was ist mit seiner Bedeutung?«, bohrte Kimmuriel weiter. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jarlaxle diesen Krieger des Hauses Do’Urden bewundert, weil er den Klauen der Priesterinnen von Menzoberranzan entronnen ist.«
»Dann ist Jarlaxle ein Dummkopf, der seine Gefühle gut verbergen sollte«, erwiderte Gromph. Das war eine deutliche Warnung an Kimmuriel, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte. »Königin Lolth liebt das Chaos, also dient Drizzt ihren Zwecken. Wenn nicht gar Lolth selbst.«
Kimmuriel staunte, dass Gromph so offen zugab, was im Ersten Haus gemunkelt wurde, seit Oberin Baenre vor über hundert Jahren der Axt von Drizzts Zwergenfreund zum Opfer gefallen war. Nun verstand er auch, warum er bei Gromph auf diesem Weg nicht weiterkommen würde. Und er wusste, wann er bei einem so mächtigen Drow wie dem Erzmagier von Menzoberranzan nachzugeben hatte.
»Oberin Quenthel Baenre wird über Drizzt Do’Urden weniger nachsichtig urteilen, wenn man ihr ihren Lieblingsgroßneffen auf einer Bahre bringt«, sagte er stattdessen, um das Gespräch wieder auf seinen Ausgangspunkt zu lenken: Tiagos Enthüllungen über Drizzt Do’Urden und sein Wunsch, ihn zur Strecke zu bringen.
»Ihr solltet ihn nicht unterschätzen«, warnte Gromph.
»Keinen von beiden«, betonte Kimmuriel. »Was die Fähigkeiten von Tiago Baenres offizieller Begleitung angeht, diesen zwei Xorlarrin-Flittchen, Saribel und Ravel, bin ich noch nicht überzeugt. Drizzt allerdings hat
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