Niewinter 4: Die letzte Grenze
Lady Dahlia schreckt vor keinem Kampf zurück.«
»Auch nicht vor Liebeshändel?«
Das gab Afafrenfere zu denken, aber nach kurzem Überlegen schüttelte er erneut den Kopf. Wirklich gut kannte er Dahlia natürlich nicht, doch in den letzten Monaten glaubte er, recht gut durchschaut zu haben, was die Elfe antrieb.
»Ich widerspreche dir bloß, weil ich befürchte, dass du recht hast«, räumte Ambergris ein.
»Warum hast du mich dann zum Hafen geführt?«
»Wenn du jemanden entführen, an Sklavenhändler verkaufen oder für dich arbeiten lassen willst – würdest du ihn dann in Baldurs Tor lassen, solange seine Freunde da herumlaufen?«
»Und wenn man sie umgebracht hätte, wäre das auch der ideale Platz, die Leiche verschwinden zu lassen.« Afafrenfere nickte.
»Genau. Hoffen wir, dass es nicht so ist.«
Dieser Feststellung konnte Afafrenfere aus ganzem Herzen zustimmen. Abgesehen von seiner langen Beziehung zu Parbid hatte er in seinem Leben wenig Kameradschaft kennen gelernt. Nachdem sie damals Gauntlgrym verlassen hatten, war es ihm sehr schwergefallen, bei denen zu bleiben, die seinen geliebten Begleiter getötet hatten. Zu jener Zeit hätte er es nie für möglich gehalten, diese vier, sogar den Drow, der Parbid erschlagen hatte, eines Tages als Freunde zu betrachten. Inzwischen genoss er es, an ihrer Seite zu kämpfen. Es abzustreiten wäre eine Lüge gewesen.
Als er nun mit der Zwergin über die Anleger wanderte, dachte er an eine sternhelle Nacht auf der Elritze zurück. Afafrenfere hatte nicht schlafen können und war an Deck gegangen. Dort hatte Drizzt am Bug gestanden und nachdenklich in die Weite geblickt.
Afafrenfere hatte sich ihm so leise genähert, wie es ihm zur Gewohnheit geworden war, doch noch ehe er ihn ansprechen konnte, hatte er gemerkt, dass der Drow bereits ein leises Gespräch führte, wenn auch ein Selbstgespräch.
Dieser ungewöhnliche Waldläufer redete mit sich selbst, um angesichts der friedlichen See bei Nacht seine Gedanken und Ängste zu sortieren. Dem Tonfall nach war der Drow seinem gegenwärtigen Thema schon recht nahe gekommen und hatte seine Antwort gefunden. Seine Worte spiegelten wider, was in seinem Herzen lebte.
»Also sage ich nun erneut: Ich bin frei. Und das sage ich voller Überzeugung«, hatte Drizzt erklärt. »Denn heute akzeptiere ich wieder bereitwillig, was in meinem Herzen steckt, und verstehe, dass diese Grundsätze die ehrlichsten Wegweiser für mich sind. Auch wenn sich hier und dort Grauschleier über die Welt senken, liegt das Gefühl für richtig und falsch für mich klar auf der Hand und war nie besonders verwaschen. Und wenn dieses Gefühl dem Wortlaut des Gesetzes widerspricht, dann zur Hölle mit dem Gesetz!«
Drizzt hatte weitergesprochen, aber Afafrenfere hatte sich hastig zurückgezogen. Nicht Drizzts Worte, sondern dessen Vorgehen hatte ihn bestürzt. Solche Techniken hatte Afafrenfere im Kloster der Gelben Rose gelernt. Er wusste, wie man sich in tiefe Meditation versenken konnte, in den Zustand der Leere, aus dem man sanft in jene grenzenlose Trance überging, in deren Frieden ein stilles Zwiegespräch mit der eigenen Seele möglich wurde, um jeden inneren Aufruhr zur Ruhe zu bringen.
Und so war dem Mönch in der Dunkelheit ein Licht aufgegangen, denn er hatte erkannt, dass er bei diesen Gefährten ganz andere Erfahrungen machte als bei Cavus Dun. Zwar hatte er hier keine Beziehung, die mit der zu Parbid vergleichbar gewesen wäre, aber dafür gab es etwas anderes, das er nicht abstreiten konnte: Im Gegensatz zu Ratsis, Bol und den anderen bei Cavus Dun, sogar im Gegensatz zu Parbid, auch wenn Afafrenfere sich das nur ungern eingestand, würden diese Gefährten ihn nicht im Stich lassen. Nicht einmal der missmutige, stets gewaltbereite Entreri würde ihn verlassen, wenn es hart auf hart kam.
Ambergris’ Rippenstoß riss den Mönch aus seinen Gedanken.
»Erkennst du die zwei wieder?«, fragte die Zwergin so leise, dass niemand anders sie hören konnte.
Afafrenfere musterte das Pärchen unauffällig.
»Unser erster Landgang«, sagte Ambergris, und jetzt fiel es auch ihm wieder ein.
Zudem bemerkte er, dass der alte Mann mit dem Haken und der Jüngere neben ihm die Zwergin und ihn schon wieder mit mehr als beiläufiger Neugier beobachteten. Er prägte sie sich gut ein und warf einen Blick auf die Elritze, die nicht weit entfernt im Hafen lag.
»Denkst du, was ich denke?«, fragte die Zwergin.
»Ich glaube schon«, flüsterte
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