Niewinter 4: Die letzte Grenze
bewältigen können und sich bei dem sinnlosen Versuch eher umbringen.
Aber auch von diesen Zweifeln ließ Effron sich nicht abschrecken, sondern konzentrierte sich lieber auf die anstehende Situation, die ständig misslicher wurde.
Er würde sie verlieren!
Dahlia würde wieder entwischen, oder sie würde zu ihm gelangen und ihn töten, wie sie es schon einmal versucht hatte.
Wut und Zorn trieben ihn an. Er begann zu rezitieren, und dabei stand jedes Symbol auf der Schriftrolle kristallklar vor ihm. Jede Silbe, die er sprach, sollte verhindern, dass Dahlia noch einmal davonkam.
Er konzentrierte sich so sehr, dass er alles andere vergaß. Es zählte nur noch das nächste Wort, die richtige Betonung jeder einzelnen Silbe. Nichts anderes war von Bedeutung. Sonst wäre alles verloren.
Er war schon halb fertig, ohne dies auch nur zu bemerken.
Am Ende der Gasse landete Dahlia einen sauberen Treffer, dem sie mit einer Explosion aus der Blitzenergie von Kozahs Nadel noch mehr Nachdruck verlieh. Der Koloss taumelte nach hinten und kippte schwerfällig auf den Rücken, ohne dass Effron es bemerkte.
Er fuhr fort, bis er zur letzten Zeile gelangte, dem entscheidenden Auslöser, und beim allerletzten Wort blinzelte er über die Oberkante des Pergaments.
Dort stand Dahlia und starrte ihn an, ihren verkrüppelten Sohn, und ihre Arme hingen schlaff herunter. Auf ihrem Gesicht stand ihr Entsetzen geschrieben, als wäre sein Anblick ihr unerträglich.
In der Luft tauchte eine Metallplatte auf, die herunterklappte und gegen die Frau schwang. Gegenüber erschien eine zweite Platte, die sie in die Richtung zurücktrieb, aus der sie gekommen war. Dann folgten eine dritte und eine vierte Platte, die alle schaukelten, als ob sie an Marionettenfäden hingen. Dahlia wollte sich dagegen wehren, aber die Platten waren zu schwer und stießen die Frau mit Leichtigkeit um. Sie versuchte auszuweichen, aber es wurden zu viele, und sie bewegten sich zu koordiniert.
Und jetzt schoben sie sich zusammen und schaukelten dabei kaum noch, sondern schlossen sie vollständig ein. Wie ein Käfig.
Oder ein Sarg.
Effron rief seinen Erdkoloss zurück und stellte ihm das Glas in den Weg. Als das Wesen sich näherte, sog die Magie ihn ein, steuerte ihn und ließ ihn wieder schrumpfen.
Nachdem Effron dieses Geschöpf eingesammelt hatte, holte er das andere heraus. Sein mächtiger Zauber, das Tartarengrab, hatte sich jetzt rund um Dahlia geschlossen und nahm ihr jede Bewegungsfreiheit, obwohl sie sich verzweifelt wehrte. Doch selbst dieser magische Käfig würde die Kriegerin nicht lange halten können. Auch das hatte Effron bei seiner Planung berücksichtigt und spielte deshalb seinen letzten Trumpf aus, den Todeswurm.
Das Grab war noch nicht ganz geschlossen, denn die Füße und Unterschenkel der Elfe ragten am unteren Rand der Metallplatten heraus. Der Nekrophidius ringelte sich um das eine Bein und kroch daran zu Dahlia in die Kiste.
Sie schrie gellend auf!
Erst vor Entsetzen, dann vor Schmerz, als der Todeswurm sich in sie verbiss.
Sie schrie weiter und schlug um sich.
»Gib doch auf«, flüsterte Effron leise, denn zu seiner Überraschung machten ihn die panischen Schmerzensschreie nicht glücklich. »Lass dich fallen, verdammt noch mal!«, rief er aus, und wie zur Antwort brach das Geschrei ab.
Effron erstarrte. Er wagte kaum zu atmen. Das lähmende Gift des Nekrophidius hatte offenbar endlich gewirkt.
Der Sarg schwankte und fiel um.
Effron flüsterte seinem magischen Wesen einen Befehl zu, damit es an Ort und Stelle blieb und wieder zubiss, sobald sein Opfer sich regte.
»Jetzt?«, fragte jemand hinter Effron.
»Schnappt sie euch«, wies er die beiden Hafenarbeiter an, ohne sich nach ihnen umzudrehen. Mit Decken in der Hand liefen sie an ihm vorbei. »Und seid vorsichtig!«, fügte er hinzu. »Sonst mache ich kurzen Prozess mit euch!«
Er ging zu dem Karren, den seine Handlanger am Beginn der Straße bereitgestellt hatten. Einige Passanten waren stehen geblieben und sahen zu, aber keiner kam näher, denn an einem Ort wie Baldurs Tor steckte man seine Nase lieber nicht in Dinge, die einen nichts angingen, wenn man diese Nase behalten wollte.
Die beiden Männer schleiften die Metallkiste aus der Gasse und luden sie mit einiger Anstrengung auf den Karren, wobei sie ihnen einmal herunterfiel.
Dann sprangen sie eilig auf den Bock und trieben ihr Maultier an.
Effron schlug einen anderen Weg ein, weil er niemanden auf diese Fracht
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