Niewinter 4: Die letzte Grenze
Entreri gesagt: Dich schon , aber das verkniff er sich. Wenn er darüber nachdachte, stellte er verwundert fest, dass er so etwas eigentlich nicht zu Drizzt sagen wollte. Er hatte dem Drow Hörner aufgesetzt, und obwohl sie lange Todfeinde gewesen waren, war Artemis Entreri wenig stolz darauf.
Er war nicht mit Dahlia zusammengekommen, um Drizzt zu verletzen. Es ging überhaupt nicht um Drizzt.
Deshalb machte ihm die ganze Sache auch so zu schaffen, denn in Wahrheit schmerzte es auch ihn. Er hatte sich mit Dahlia getroffen, weil sie ihn auf diese spezielle Weise berührte, wegen der Gefühle, die er in ihrer Nähe hatte, und weil sie ihn aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit, die der seinen sehr ähnlich war, so gut verstand.
Er hatte sich zu Dahlia hingezogen gefühlt, und jetzt, da sie verschwunden war und er sie vielleicht verloren hatte, musste der Meuchelmörder sich Regungen stellen, die ihm fremd waren.
Diesen Weg hatte Artemis Entreri schon einmal beschritten. Die Frau hatte Calihye geheißen, und das hatte ein schlimmes Ende genommen. Er hatte sich geschworen, nie wieder so verletzlich zu werden. Er würde sich nur auf sich selbst verlassen und auf niemand anderen, eine einsame Insel gegen unerwünschte Gefühle, ein Fels in der Brandung.
»Wo sollen wir noch suchen?«, fragte Drizzt.
Und jetzt musste Entreri mit Drizzt Do’Urden reden, ihrem zweiten Liebhaber. Er sah den Drow an und antwortete: »Keine Ahnung.«
»Du kennst sie genauso gut wie ich«, sagte Drizzt. »Eher noch besser.«
Bei diesen Worten duckte sich Entreri, denn er rechnete mit einer wüsten Beschimpfung und blickte lieber wieder auf sein Glas. Er hob es hoch und leerte es, ohne seinem Gegenüber in die Augen zu sehen.
»Und?«, drängte Drizzt.
In seinem Ton schwang kein Urteil mit. Entreri stellte sein Glas ab und blickte langsam auf.
»Dahlia hat viel durchgemacht«, stellte er fest.
Drizzt nickte.
»Es ist kompliziert«, fuhr Entreri fort. »Die Gewalt, die ihr angetan wurde, hat sie auf eine Weise verletzt, die du nicht …« Er brach ab, denn er wollte Drizzt nicht noch mehr quälen.
Aber der Drow sagte: »Ich weiß«, und beließ es dabei.
Er wusste noch mehr, dachte Entreri, oder er ahnte es zumindest, aber zu diesem Zeitpunkt stellte Drizzt all das hintenan. Auf Zehenspitzen umrundete der Drow das eigentliche Streitthema, weil er Entreri nicht offen angreifen wollte.
Weil er etwas für Dahlia empfindet, begriff Entreri, und diese Erkenntnis traf ihn noch tiefer.
»Effron«, sagte Entreri, und Drizzt horchte auf. »Er ist der Einzige, der mir einfällt«, erklärte der Mann. »Sein Hass auf Dahlia durchtränkt sein ganzes Sein, jeden Gedanken.«
»Wir sind weit von Letzthafen entfernt«, sagte Drizzt. »Wir haben auf dem Herweg sogar einen Umweg gemacht.«
»Der junge Tiefling kann auf einiges zurückgreifen«, gab Entreri zu bedenken. »Sogar Erzgo Alegni hatte großen Respekt vor ihm, und der hat ihn abgrundtief gehasst.«
»Erzgo Alegni war sein Vater«, sagte Drizzt.
»Das spielte keine Rolle«, erwiderte Entreri. »Oder vielleicht war das sogar der Grund. Effron ist auf Geheiß eines Nesser-Fürsten in Niewinter zu uns gestoßen. Mit diesen hohen Herren hatte ich oft zu tun, als ich Alegnis Sklave war. Die sind nicht zu unterschätzen.«
»Du glaubst, dieser Nesser-Fürst hat Effron geholfen, sich Dahlia zu schnappen?«, fragte Drizzt.
»Ich befürchte es«, gab Entreri zu und war dabei tatsächlich sehr ehrlich. »Denn wenn es so ist, werden wir Dahlia nie wiedersehen.«
Bei diesen Worten sank Drizzt in sich zusammen. Er und Entreri starrten einander lange an. Aber auch diesmal schnitt Drizzt das eigentliche Thema nicht an, was Entreri erneut überraschte.
»Ich brauche noch etwas zu trinken«, sagte Entreri und stand auf. In Wahrheit musste er diesem unerträglichen Druck entkommen. Die Vorstellung, Dahlia für immer verloren zu haben, nagte auf eine Weise an ihm, mit der er nicht umgehen konnte.
»Hol mir auch etwas«, überraschte ihn Drizzt, als er sich wegdrehte. »Ein großes Glas.«
Entreri sah sich ungläubig um, und er erkannte die Übertreibung. Dennoch kam er mit zwei Gläsern und einer Flasche Rum zurück, auch wenn ihm klar war, dass er das meiste wohl allein trinken würde.
Vom frühen Morgen bis nach Sonnenuntergang schrubbte Bruder Afafrenfere auf der Elritze das Deck, prüfte die Leinen oder lief mit dem Teereimer herum. Er tat, was immer es an Bord zu tun gab oder was Sikkal ihm
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