Night Academy 2
lediglich eine Sache in eine andere verwandelt. Sonne in Nahrung. Energie in Materie. In der Natur gehe es um die Beziehung der Dinge untereinander und darum, wie eins zum anderen führe. Wenn ich das nicht begriffe, würde ich auch meine Erdkräfte nie ganz verstehen.
Obwohl ich mir alle Mühe gab, hatte ich noch nichts weiter über die Geschehnisse am Abend der Aufnahmezeremonie herausgefunden. Wenn es nach Mr Judan und den anderen ging, würde das wohl auch so bleiben. Cam machte keine Anstalten, darüber zu reden, den Zehntklässlern war es offenbar egal, und die Elftklässler, allen voran Anna, machten dicht, sobald ich davon anfing. Bislang hatte ich noch nicht den Mut gehabt, Barrett zu fragen. Ich hatte Angst, dass er mich auslachen und es herunterspielen würde, wie das so seine Art war.
Ab und zu fragte ich Cam, aber er gab mir immer nur ausweichende Antworten, er sei nicht mehr zuständig und so weiter. Irgendwann bat er mich schließlich, das Thema auf sich beruhen zu lassen. Es liege nun in der Hand der Wächter, und er dürfe mir nichts mehr darüber erzählen.
Darüber gerieten wir in unseren ersten Streit. Wir hatten gerade eine große Runde um die Schule beendet, und trotz der kühlen Luft klebte mir das T-Shirt schweißnass am Rücken. Ich hielt es vom Bauch weg und wedelte ein wenig mit dem Stoff, um mir etwas Kühlung zu verschaffen.
»Aber warum darf ich nicht wissen, was die Wächter machen?«, fragte ich. »Ich gehöre doch jetzt zum Programm. Eigentlich sollte es doch keine Geheimnisse mehr geben. Außerdem hast du behauptet, es sei eine stinknormale Gang aus Seattle gewesen. Wenn das stimmt, was haben dann die Wächter damit zu schaffen?«
Wahrscheinlich war Cam einfach nur sauer, dass ich den Schwachpunkt in seiner Story gefunden hatte, denn er hob entnervt die Hände und stöhnte. »Da gibt es kein großes Geheimnis. Sie suchen immer noch nach den Eindringlingen. Du kannst doch nicht erwarten, dass die Wächter alle ihre Informationen preisgeben.«
»Das erwarte ich auch gar nicht«, sagte ich und wischte mir mit dem Saum des T-Shirts den Schweiß von der Stirn. »Mir kommt es einfach komisch vor, dass sie bei einer örtlichen Gang Wächter losschicken. Und wenn sie die Eindringlinge schnappen, was dann? Die werden sie doch hoffentlich nicht umbringen!«
»Wenn keine Gefahr mehr besteht, dann überlassen die Wächter der Polizei die Sache«, sagte Cam. »Die regeln das schon. Vertrau ihnen einfach.«
»Wie soll ich ihnen vertrauen, wenn ich nicht weiß, was los ist?«
»Darum geht es doch gerade beim Vertrauen«, sagte Cam. »Dass man eben nicht alles wissen muss.«
»Dann habe ich wohl ein Vertrauensproblem«, sagte ich aufbrausend.
Schweigend liefen wir zur Schule zurück. Als ich ein paar Stunden später allein lernte, bekam ich von ihm eine SMS : Sorry, wollte nicht streiten. Bin total alle. Megaviele Hausaufgaben.
Erleichtert schrieb ich zurück: Mir tut’s auch leid. Hätte dich nicht nerven sollen. Wenn du könntest, hättest du es mir schon gesagt. Alles wieder okay?
Ängstlich starrte ich aufs Display, bis seine Antwort kam. Klar. Im Magazin, in fünf Minuten.
Mit einem Lächeln schob ich das Handy in den Rucksack und stürmte los.
Nach meinem Streit mit Cam wurde mir klar, dass mich Fragen nicht weiterbrachten. Stattdessen verbrachte ich immer mehr Zeit in der Geheimbibliothek. Ich wusste zwar nicht, wonach ich genau suchte, aber ich hatte das Gefühl, dass man mir einiges über den Hohen Rat und die Wächter verschwieg. Also versuchte ich, auf eigene Faust an Informationen zu kommen. Dazu durchforstete ich alle Geschichtsbücher, die mir in die Hände fielen. Seltsamerweise stand darin kaum etwas über den Hohen Rat. Ich hätte wetten können, dass die Geschichte des Hohen Rats riesige Wälzer hätte füllen können. Aber Pustekuchen. Nur ein paar vereinzelte schmale Bändchen, eines davon über Maria Salvoretto, von der Mr Fritz gesprochen hatte. Maria konnte in die Zukunft sehen, und nachdem sie eine Vision von einer Schule für außergewöhnlich begabte Schüler gehabt hatte, gründete sie eine Art Wanderschule.
Maria war ein kluges Köpfchen. Sie verriet keinem, was sie vorhatte, damit sie und ihre Schüler nicht auf dem Scheiterhaufen landeten. Doch überall vollbrachten sie Gutes. Heilten Menschen, nutzten ihre Körperkräfte, um Felder zu pflügen, Häuser zu bauen, und befreiten die Dörfer und Städte von Krankheiten und wilden Tieren. Und alles fand im
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