Night Academy 2
Verborgenen statt, sodass niemand genau sagen konnte, was geschehen war. Nach ihrem Tod wollten viele Maria zur Heiligen erklären lassen.
Offensichtlich lief es ein paar Hundert Jahre lang so, dass Begabte durch die Welt zogen, gute Taten vollbrachten und ihre Fähigkeiten erweiterten. Erst mit dem 1. Weltkrieg änderte sich die Situation. Die Begabten organisierten sich und mischten sich plötzlich in Regierungsgeschäfte und politische Debatten ein. Der Hohe Rat wurde gegründet, um die Schulen und die Aktivitäten Begabter auf der ganzen Welt zu koordinieren. Außerdem wurde den Mitgliedern bald bewusst, dass Begabungen zweiten Grades mit ein wenig Förderung in einen dritten Grad verwandelt werden konnten.
Die Anzahl Begabter wuchs.
Und dann hatte Mr Judan vor ungefähr zehn Jahren die professionelle Wächtertruppe gegründet. Wächter hatte es schon seit Langem gegeben. Maria »überwachte« ihre Schüler mindestens ein Jahr lang, damit sie nicht jemanden ausbildete, dem nicht zu trauen war. Sobald der Hohe Rat herausgefunden hatte, dass sich zweite Grade in dritte verwandeln ließen, hatte er damit begonnen, mögliche Kandidaten zu beobachten. Doch Mr Judans Wächter schienen mir etwas anderes zu sein. In den Büchern stand nichts vom Töten, doch für mich stand es außer Frage, dass sie genau das taten. Mir war schleierhaft, woher diese plötzliche Gewalt gekommen war.
In den meisten Büchern ging es um Begabungen und wie man sie nutzte. In einem Buch aus dem 17. Jahrhundert stieß ich auf den Bericht einer Frau, die eine ganz ähnliche Begabung hatte wie ich. Darin beschrieb sie, wie sie gelernt hatte, Gegenstände zu verschieben, indem sie mit der Schwerkraft herumspielte. Es gab auch Lehrpläne, in denen genau erläutert wurde, wie man einen Begabten mit Überzeugungskräften vom zweiten zum dritten Grad brachte oder wie man einem Gestaltwandler beim Übergang half. Allmählich begriff ich auch, warum sie um die gestohlenen Bücher so ein Aufhebens gemacht hatten. Wenn sie in Jacks Besitz oder womöglich noch in andere Hände gelangt wären, hätte jemand damit sehr schnell sehr mächtig werden können. Da hätte man ihm auch gleich ein geladenes Gewehr in die Hand drücken können.
Ein sehr großes, magisches Gewehr.
Trotz bester Vorsätze war ich zu sehr in meine Nachforschungen und in meinen Unterricht vertieft, als dass ich viel Zeit mit Hennie oder Esther hätte verbringen können. Meine Freizeit verbrachte ich komplett mit Cam, und meine Kurse waren so anspruchsvoll, dass ich während der Stillarbeitszeit tatsächlich still arbeitete. Hennie war mehr oder minder mit Yashir verwachsen, also fiel es ihr kaum auf, doch ich wusste, dass Esther darunter litt, dass wir so wenig Zeit füreinander hatten. Als sie sich dann auch noch in einen Zehntklässler namens Matt aus ihrer Theatergruppe verliebte, wurde alles nur noch schlimmer. Vor allem, als er den Lehrer um eine neue Partnerin für eine Szene aus Romeo und Julia bat, nachdem Esther alles daran gesetzt hatte, seine Julia zu sein. Sie war vollkommen am Boden zerstört. Ich simste ihr ständig, und am Wochenende telefonierten wir. Aber es war nicht mehr das Gleiche, und ich spürte, wie wir uns langsam fremd wurden.
9
Ü ber den Valentinstag hatte ich mir noch keine großen Gedanken gemacht, bis Esther das Thema auf dem Heimweg nach einem Fußballspiel anschnitt. Annas Vater war zum Spiel gekommen und nahm anschließend Anna und ihre Freundinnen im Wagen mit zurück zur Schule. Daher saßen außer mir nur noch sechs andere Spielerinnen im Bus. Weil die Sonne schien, hatten uns Hennie und Esther begleitet. Natürlich waren sie die Einzigen.
Ich war vollkommen erschöpft. Allie und ich hatten jeweils ein Tor geschossen, Anna war zum ersten Mal leer ausgegangen. Hennie und Esther saßen mir gegenüber, meine Sportklamotten lagen neben mir, und ich hielt nur mit äußerster Anstrengung die Augen offen. Zurzeit bekam ich einfach nicht genug Schlaf, meistens holte ich den auf dem Nachhauseweg im Bus nach, doch dies war eine der seltenen Gelegenheiten, Zeit mit Esther und Hennie zu verbringen, also riss ich mich zusammen.
»Also, raus mit der Sprache: Was macht ihr zwei an dem großen Tag?«, fragte mich Esther.
Durch halb geschlossene Lider sah ich sie an. »Was für ein großer Tag?«
»Valentinstag. Am nächsten Freitag. Wie feiert ihr den?«
Der Bus fuhr gerade durch ein Schlagloch, und rasch griff ich nach meiner Tasche, damit sie nicht vom
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