Night Academy 2
Begegnung gefühlt hast, Dancia. Ich wusste, dass du schon einiges durchgemacht hattest. Und ich wollte dir unbedingt zu verstehen geben, dass es so nicht sein muss. Dass du nicht allein sein musst.«
Ich nahm seine Hand. »Ich bin ja nicht allein. Jetzt nicht mehr.«
8
Eine Woche nach Schulbeginn ging es mit der Fußballsaison los. Ich hatte gehofft, dass Esther und Hennie mitmachen würden, doch die beiden wollten nicht. Esther meinte, letztes Jahr sei sie genug durchs Gelände gelaufen, für dieses Leben würde es ihr reichen. Und Hennie wollte lieber mit Yashir Musik hören, wobei sie ihren Eltern weismachte, sie bräuchte mehr Zeit zum Lernen.
Bei meinem vollen Stundenplan – dem Unterricht, den Hausaufgaben und der Zeit, die ich mit Cam verbringen wollte – war ich froh, dass Fussball auf der Night Academy nicht so ernst genommen wurde. Im Gegensatz zur Danville High, wo nur die Besten ausgewählt wurden, bekamen wir hier gerade mal eine Mannschaft zusammen. Das Night-Academy-Team spielte in einer Liga mit anderen Privatschulen. Wir hatten zwar jeden Tag Training, aber gerade mal anderthalb Stunden lang, und manchmal liefen wir auch einfach nur eine große Runde um die Schule. Wir verloren fast jedes Spiel, aber es machte trotzdem Spaß.
Allmählich gewöhnte ich mich an meinen neuen Alltag, allerdings hütete ich mich davor, mich zu sehr in Sicherheit zu wiegen. Offenbar hielt Anna ihre Information über Jack und mich zurück, um sie im denkbar ungünstigsten Moment preiszugeben.
Meine Schwerpunktkurse waren umwerfend. In Physik geriet ich ganz schön ins Schleudern, aber Barrett verstand es irgendwie immer, den Unterricht interessant zu gestalten. Mr Fritz hatte gesagt, es sei wichtig, dass ich wüsste, was ich tat, und damit hatte er recht. Auch wenn die Schwerkraft an sich nicht schwer zu verstehen war (man lässt etwas fallen, und es landet auf dem Boden!), gab es dennoch Aspekte, die mir vorher nicht klar gewesen waren. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass jeder Gegenstand über Anziehungskräfte verfügte. Die Schwerkraft ging also nicht nur von Erde und Mond aus, sondern jeder Körper übte eine Anziehung auf jeden anderen aus. Und um diese Kräfte zu beeinflussen, musste ich sie zunächst unterscheiden lernen.
Vor allem machte ich die Erfahrung, wie schwer es war, meine Gedanken im Griff zu haben. Zuvor hatte ich die Schwerkraft immer nur für ein oder zwei Sekunden außer Kraft gesetzt. Doch nun übte ich, den Kräften über längere Zeit zu trotzen. Das war leichter gesagt als getan. Wenn ich nur einen Moment lang nicht ganz bei der Sache war, dann fiel mein Übungsobjekt zu Boden oder flog ungesteuert durch die Luft.
Barretts Gabe, Wärme zu erzeugen, indem er einzelne Teilchen in Schwingungen versetzte, bedurfte unglaublicher Konzentration. Er sagte, außer ihm gäbe es noch andere mit seinen Fähigkeiten, doch niemand konnte sich mit ihm messen. Die anderen konnten sich vielleicht einen Teller Suppe warm machen. Barrett hingegen konnte eine sechs Meter hohe Flamme schaffen, ein Haus in Brand stecken oder jemandes Blut zum Kochen bringen. Natürlich war er viel zu gechillt, um irgendetwas davon in die Tat umzusetzen, aber er hätte es gekonnt. Von seiner Schweizer Lehrerin hatte er allerlei seltsame Meditationen gelernt, um seine Konzentration zu verbessern. Doch Barrett meinte, darüber bräuchte ich mir jetzt noch keine Gedanken zu machen. Fürs Erste sollten wir uns aufs Wesentliche konzentrieren.
Zu meiner Überraschung machte mir der Unterricht mit Mr Anderson am meisten Spaß. Meist ging ich einfach mit ihm mit und half ihm bei seinen jeweiligen Aufgaben. Manchmal verschlug es uns auch in den Wald, wo wir dann auf Brombeergestrüpp stießen, das ein heimisches Gewächs zu ersticken drohte, oder Efeu, der den Stamm einer Douglasfichte überwucherte. In der Woche darauf rückten wir dann mit dicken Lederhandschuhen und Schubkarren an, um die Eindringlinge mit Stumpf und Stiel auszureißen. An anderen Tagen arbeiteten wir im Garten, brachten Kompost aus, zupften Unkraut oder ernteten mitten im Winter Gemüse.
Mr Anderson redete viel über Photosynthese, die Umwandlung von Sonnenlicht in Nahrung. Dieser Prozess war auch die Wurzel seiner Kräfte, wie er zu sagen pflegte. Und somit ja auch irgendwie die Wurzel meiner Begabung. Mr Anderson sagte, die Erde verändere sich zwar fortlaufend, doch alles stehe im perfekten Gleichgewicht zueinander. Es werde nichts Neues geschaffen, sondern
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