Night School 01 - Du darfst keinem trauen
ihrem Stuhl näher und drückte Jos Kopf an ihre Schulter. »Ich auch.«
Binnen weniger Sekunden waren beide eng umschlungen eingeschlafen.
Kurz darauf wurden sie von Geräuschen an der Tür geweckt. Die Night-School-Gruppe war zurückgekehrt.
Gabe kam als Erster herein. Kaum hatte sie ihn erblickt, flog Jo ihm entgegen und warf sich in seine Arme. Flüsternd verließen sie den Saal.
Sylvain kam gleich danach. Allie war noch nicht so weit, ihm schon wieder zu begegnen. Sie musste erst noch verarbeiten, was in der Nacht zuvor zwischen ihnen vorgefallen war. Sie machte sich klein und starrte in ihre Teetasse, in der Hoffnung, dass er sie nicht sehen würde.
Sie hatte noch keine Sekunde Zeit gehabt, über die Ereignisse der letzten Nacht nachzudenken.
Und darüber, wie ich so schnell betrunken werden konnte.
Während sie vor sich hin grübelte, strich sie gedankenverloren mit den Fingern über die Beule an ihrem Hinterkopf. Sie war kleiner geworden, tat aber immer noch weh.
Als ein paar Minuten später Carter und Lucas durch die Tür kamen, spürte sie große Erleichterung. Sie sahen beide müde und abgerissen aus – ihre Gesichter waren dreckverschmiert und die Haare schweißverklebt.
Allie hielt immer noch den Kopf gesenkt, weshalb Carter sie nicht bemerkte, als er sich den Teller volllud und einen Kaffee holte. Doch Lucas sah sie sofort.
»Weißt du, wie es Lisa geht?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht genau.«
Er presste die Lippen zusammen. »Ich hab so ein schlechtes Gewissen … Wär ich nur bei ihr geblieben!«
Allie umarmte Lucas, der unglaublich kaputt und abgeschlagen aussah. »Isabelle sagt, das wird schon wieder, und ich glaube ihr.« Er nickte in ihre Schulter. »Und jetzt solltest du dich mal eine Weile hinlegen, Lucas. Du siehst schlimm aus.«
Lucas rang sich ein Lächeln ab. »Danke, Allie. Du klingst genau wie Carter – der hat mir gerade dasselbe gesagt.«
Als Lucas gegangen war, hielt Allie Ausschau nach Carter. Er saß allein an einem Tisch am anderen Ende des Saals. Er hatte die Beine ausgestreckt und aß mit mechanischer Gründlichkeit, die Augen fest auf den Teller gerichtet, so als wollte er nichts anderes sehen.
Sie wartete, bis er aufgegessen hatte, und ging dann zu ihm hinüber. Die Müdigkeit machte sein Gesicht derart verletzlich, dass es ihr den Atem verschlug – er sah aus wie ein kleiner Junge. Doch der wachsame Blick kehrte sofort zurück. Sie wartete nicht auf eine Einladung, sondern nahm sich einfach einen Stuhl.
»Hey«, sagte sie.
»Selber hey«, erwiderte er distanziert.
Sie betrachtete prüfend sein Gesicht. »Alles klar?«
»So weit alles klar.« Er sah zu ihr auf. »Und bei dir?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich lebe noch.«
»Ich hab das mit Ruth gehört …«
Reflexhaft schoss ihre Hand hoch. »Ich möchte nicht darüber reden.«
»Sorry«, sagte er.
»Du kannst nichts dafür.« Sie versuchte, die dunklen Bilder von Ruths Leiche aus ihrem Kopf zu verscheuchen. »Ich kann einfach … noch nicht darüber reden. Ich bin noch nicht so weit.«
»Okay.« Er nippte an seinem Kaffee.
Sie schwiegen beide.
Allie wartete drei Atemzüge.
»Carter?«
»Was ist?«
»Hast du Phil gesehen? Kommt er klar?«
Er schüttelte den Kopf. »Gar nicht. Er ist am Boden zerstört. Macht sich Vorwürfe, dass er nicht bei ihr war, als es passiert ist, der arme Kerl. Er wird für ’ne Weile nach Hause fahren.«
Allie musste die Antwort erst einmal verdauen, bevor sie weitersprechen konnte. »Wegen letzter Nacht …«
»Allie …« Carter warf ihr einen warnenden Blick zu, den sie aber ignorierte.
»War ich betrunken? Oder, keine Ahnung – auf Drogen? Ich meine, ich war schon mal betrunken und weiß natürlich, wie man betrunken wird. Aber ich hatte bloß drei Gläser. Und ich war so was … Ach, ich weiß selber nicht, was mit mir war.«
»Ich weiß auch nicht, was mit dir war, Allie.«
Carters Ton hatte etwas Vorwurfsvolles, und Allie rückte getroffen von ihm ab. »Hey. Das ist jetzt nicht fair.«
»Weißt du, was ich glaube?« Aus seinen dunklen Augen blitzte unterdrückte Wut. »Ich glaube, du hast einfach zu viel getrunken und Sylvain vertraut. Ich hab dich gewarnt.«
»Ich weiß! Das weiß ich doch!« Allie war ebenfalls wütend, doch ihre Wut richtete sich mehr gegen sich selbst. »Es ist alles meine Schuld. Und es tut mir leid, dass ich nicht zugehört habe. Das war dumm von mir. Ich bin ein Vollidiot, okay? Verzeihst du mir
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