Night School 02 - Der den Zweifel saet
irgendjemandem.
Das Ganze war einfach nur peinlich.
Sie schob die Hintertür auf und flitzte hinaus ins Freie.
Einhundertzwölf, einhundertdreizehn, einhundertvierzehn Schritte.
Nach einer Minute protestierte ihre erschöpfte Muskulatur aber derart vehement, dass sie nur noch Schritttempo lief. Die Nacht war kühl – der Regen hatte aufgehört, und es klarte auf. Der zunehmende Mond überzog die Landschaft mit Silberstaub.
Zwischen den Bäumen sah sie etwas Weißes aufleuchten. Zunächst verschlug es ihr den Atem, doch dann erinnerte sie sich:
Die Grotte.
Sie hatte den kleinen Pavillon völlig vergessen, wo sie sich am Abend der Feuersbrunst mit Jules versteckt hatte, doch nun machte sie sich auf zu dem hinter einer Baumreihe verborgenen Bauwerk.
Das mit einer Kuppel überdachte, weiße Gebäude war von schmalen Säulen umstanden. In deren Mitte befand sich eine Statue, auf die Mondlicht fiel – ein Mädchen im seidenen Gewand, die Arme über dem Kopf, einen Schleier durch die Finger gleiten lassend, auf ewig tanzend.
Allie setzte sich auf die kalte Marmorstufe neben die nackten Füße der Statue und legte den Kopf auf die Knie. Doch nun, da sie weinen wollte, kamen keine Tränen. Sie fühlte sich leer.
Vielleicht bin ich einfach nicht dafür gemacht
, dachte sie unglücklich.
Vielleicht bin ich einfach nicht gut genug für die Night School.
Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es sein würde, in der Night School mit Pauken und Trompeten zu scheitern. Was würde Jules denken? Oder Lucas? Würden sie noch mit ihr befreundet sein wollen, wenn sie wussten, was für ein Loser sie war?
Jo wurde rausgeschmissen
, überlegte sie.
Und das hat auch nicht ihr ganzes Leben zerstört.
Aber bei Jo lag die Sache anders. Sie verkehrte in denselben Kreisen wie Lucas, Katie und Jules. Ihre Familie war einflussreich. Man würde sie immer mögen. Allie hingegen war eine Außenseiterin. Ihre Eltern waren Niemande. Sie würde die anderen nie zufällig beim Skifahren in der Schweiz treffen oder beim Shoppen auf der Bond Street oder der Fifth Avenue.
Weil sie nie dorthinkommen würde.
Abgesehen davon, dass ich Lucindas Enkelin bin.
Schon bei dem Gedanken schwirrte ihr der Kopf.
Vielleicht sollte ich doch …
»Allie.«
Die französisch gefärbte Stimme war unverkennbar. Allie blickte auf. Am Fuß der Treppe stand Sylvain; die Dunkelheit ließ seine Miene undurchdringlich erscheinen.
»Hey.« Allie senkte den Kopf wieder. »Na, bisschen Elend gucken? Ich hab gehört, die neuen Night-Schooler sollen nicht so der Bringer sein.«
Er setzte sich neben sie auf die Treppe. »Ich wollte nur schauen, ob es dir gut geht.«
»Tja.« Allie richtete sich auf. »Ich bin zwar der totale Loser. Aber sonst geht’s mir prima. Also … schwirr ab. Hier gibt’s nichts zu sehen.«
»Ich hab alles mitbekommen.« Er sah sie mit seinen strahlend blauen Augen an; ihre Wangen röteten sich, und sie wandte sich ab.
Sie zuckte mit den Achseln, um zu zeigen, wie gleichgültig ihr das alles war. »War es wenigstens unterhaltsam?«, fragte sie.
»Nein«, sagte er. »Deshalb bin ich nicht hier. Ich weiß, was schiefgegangen ist. Ich kann dir helfen.«
»Ich weiß auch, was schiefgegangen ist.« Sie wich seinem Blick aus. »Mir gelingt nicht mal die simpelste Bewegung. Das war ziemlich offensichtlich. Ich hab einfach … versagt.«
Er ignorierte ihren Anfall von Selbstmitleid. »Zoe ist sehr gut, aber sie ist noch jung. Sie hat noch nie jemandem etwas beigebracht. Sie hat dir zwar gezeigt, wie man’s macht, aber dabei ein paar wichtige Kleinigkeiten ausgelassen. Deine Hände waren zum Beispiel immer an der richtigen Stelle, aber die Fußstellung war jedes Mal falsch. Und wenn du nicht richtig stehst, kann es nicht funktionieren. Ich kann’s dir beibringen. Wenn du mich lässt.«
Sie musterte ihn aus dem Augenwinkel. Nichts deutete darauf hin, dass er sich über sie lustig machte. Er sprach mit fester und ruhiger Stimme. Und seine Art hatte irgendwie etwas Tröstliches. Vielleicht konnte er ihr ja tatsächlich helfen. Noch so eine Albtraum-Trainingsstunde wie gerade eben würde sie nicht durchstehen.
Während sie noch zögerte, nagte ein anderer Gedanke hartnäckig an ihr.
Carter würde das gar nicht gefallen.
Aber Carter war nicht hier. Und sie brauchte unbedingt etwas Übung.
»Na gut«, sagte sie. »Wir können’s versuchen. Aber ich warne dich: Ich bin ’ne totale Niete.«
Sylvains Lächeln strahlte Zuversicht aus. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher