Night World - Retter der Nacht
erfreulich. Wenn nicht dieses reichhaltige, fremde Blut in ihren Adern geflossen wäre und sie beruhigt hätte …
»Warum?«, wollte Phil von James wissen.
James schüttelte leicht den Kopf. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Ich muss hier sein. Du wirst es später verstehen. Vertrau mir im Moment einfach.«
Poppy beschloss, die Sache nicht weiterzuverfolgen.
»Ihr zwei müsst euch morgen vor Cliff und Mom versöhnen«, sagte sie stattdessen. »Sonst ist es zu merkwürdig, dass ihr den Abend zusammen verbringt.«
»Egal, wie auch immer. Es wird so oder so sehr merkwürdig werden«, sagte Phil kaum hörbar. »Einverstanden. Komm morgen Nachmittag her, James, und wir versöhnen uns. Dann werde ich dafür sorgen, dass Mom und Cliff uns mit Poppy allein lassen.«
James nickte. »Gut. Ich gehe jetzt besser.« Er stand auf. Phil trat einen Schritt zurück, um ihn aus der Tür zu lassen, doch James zögerte.
»Wirst du es schaffen?«, fragte er Poppy leise.
Sie nickte tapfer.
»Also, dann bis morgen.« Er strich ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. Es war nur eine winzige Berührung, aber Poppys Herz klopfte schneller vor Freude. Ja, sie würde es schaffen!
Sie sahen einander einen Moment an, dann wandte James sich ab.
Morgen, dachte Poppy und sah, wie die Tür sich hinter ihm schloss.
Morgen werde ich sterben.
Ein Gutes hat es, dachte sie am nächsten Morgen. Nicht viele Leute haben das Privileg, genau zu wissen, wann sie sterben werden. Nicht viele bekommen die Chance, sich richtig zu verabschieden, so, wie sie es jetzt tun wollte.
Es spielte keine Rolle, dass sie nicht wirklich sterben würde. Denn sie würde trotzdem alles hinter sich lassen. Ihre Familie, ihre Heimatstadt, ihr gesamtes menschliches Leben. Wie ein Schmetterling, der ausschlüpft und dabei sein Leben als Raupe für immer verlässt.
Keine Highschool mehr, dachte Poppy. Ich werde nie mehr in diesem Bett schlafen.
Sie würde in eine unbekannte, neue Zukunft starten, ohne einen blassen Schimmer davon, was sie erwartete. Sie konnte nur auf James vertrauen - und auf ihre eigene Fähigkeit, sich anzupassen.
Um sich zu verabschieden, sah sie sich jeden Winkel ihres Zimmers an. Auch ihre geliebte Stereoanlage und die CD-Sammlung musste sie zurücklassen.
Sie ging hinaus. Jetzt kam der schwierigste Teil. Sie musste von ihren Lieben Abschied nehmen, ohne dass jemand etwas merkte.
»Hallo, Mom«, sagte sie, als sie mit weichen Knien in die Küche trat.
»Poppy! Ich wusste gar nicht, dass du aufstehen kannst.«
Sie umarmte ihre Mutter fest, spürte ihre Arme um sich und die Wärme ihres Körpers.
»Bist du hungrig, Schatz? Du siehst viel besser aus.«
Poppy konnte den Ausdruck der Hoffnung auf ihrem Gesicht nicht ertragen und beim Gedanken an Essen wurde ihr übel. Sie verbarg den Kopf an der Schulter ihrer Mutter.
»Halt mich nur bitte eine Minute. Und denke immer daran, dass ich dich liebe.« Sie kämpfte mit den Tränen.
Danach ließ sie sich von ihrer Mutter zurück ins Bett bringen und verbrachte den Rest des Tages mit Telefonieren. Alle ihre Freunde freuten sich, von ihr zu hören, und fragten, ob sie nach den Ferien wieder in die Schule käme. Sie hätte auch gern ihren Vater angerufen, aber niemand wusste, wo er steckte.
Die Zeit schien wie im Flug zu vergehen.
Keine Panik, sagte sie sich, als sie den Telefonhörer wieder in die Hand nahm. Du hast noch Stunden Zeit. Aber es schien nur Minuten zu dauern, bis ihre Mutter an die Schlafzimmertür klopfte. »Liebes, Phil denkt, wir sollten uns etwas Abwechslung gönnen und ausgehen. Ach, außerdem ist James gekommen, aber ich habe ihm gesagt, dass du ihn vermutlich nicht sehen willst. Und eigentlich will ich dich nicht allein lassen …« Ihre Mutter war ganz durcheinander, was untypisch für sie war.
»Nein, ich würde James gern sehen. Und ihr solltet euch wirklich etwas Erholung gönnen.«
»Ich freue mich, dass du und James euch wieder versöhnen wollt. Aber ich weiß trotzdem nicht …«
Es brauchte eine Zeit, um sie zu überreden und zu überzeugen, dass es Poppy schon viel besser ging und sie noch Wochen zu leben hatte. Dass es also keinen Grund gab, ausgerechnet an diesem Freitagabend zu Hause zu bleiben.
Endlich küsste ihre Mutter sie und stimmte zu. Und dann gab es nichts mehr zu tun, als sich von Cliff zu verabschieden. Er umarmte Poppy, und sie verzieh ihm endlich, dass er nicht ihr Dad war.
Dann gingen Cliff und ihre Mutter hinaus, und es war die letzte
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