Night World - Retter der Nacht
ganz schön durchgeknallt. Es tut mir leid.«
»Schön ist nicht das richtige Wort.«
»Es war nicht ihre Schuld«, erklärte James ihm kurz. »Sie lag im Sterben und hatte Halluzinationen. Ihr Gehirn bekam nicht genug Blut.«
Poppy schüttelte den Kopf. »Ich kapiere das nicht. Du hast doch beim letzten Mal gar nicht so viel Blut von mir genommen. Wie konnte ich da einen Blutmangel im Gehirn haben?«
»Daran lag es nicht. Die beiden Blutarten reagieren aufeinander, sie bekämpfen sich. Wenn du eine wissenschaftliche Erklärung möchtest, lautet die ungefähr so: Vampirblut zerstört die roten Blutkörper. Wenn es genug davon vernichtet hat, bekommst du zu wenig Sauerstoff, den du brauchst, um klar denken zu können. Und wenn es noch mehr zerstört, fehlt dir der Sauerstoff ganz, um überleben zu können.«
»Vampirblut ist also ein Gift«, stellte Phil in einem Tonfall fest, als wollte er sagen, ich hab’s ja immer gewusst.
James zuckte mit den Schultern. Er sah weder Poppy noch Phil an. »Auf gewisse Weise, ja. Aber andererseits wirkt es wie ein Allheilmittel. Wunden heilen schneller, das Fleisch regeneriert sich wieder. Vampire kommen mit ganz wenig Sauerstoff aus, weil ihre Zellen so widerstandsfähig sind. Vampirblut kann alles - außer Sauerstoff transportieren.«
Plötzlich ging Poppy ein Licht auf. Das Geheimnis von Graf Dracula war gelöst. »Warte mal eine Minute. Also deshalb braucht ihr menschliches Blut?«
»Das ist einer der Gründe«, erklärte James. »Es gibt noch ein paar geheimnisvolle Dinge, die menschliches
Blut bei uns bewirken kann, aber dass es uns am Leben erhält, ist das Wichtigste. Wir trinken ein wenig, und das transportiert Sauerstoff in unser Blut, bis das Vampirblut ihn wieder zerstört. Dann müssen wir erneut trinken.«
Poppy legte sich zurück. »So ist das also. Es ist ganz natürlich …«
»Nichts daran ist natürlich«, unterbrach Phil sie uneinsichtig.
»Streitet euch nicht. Wir müssen Pläne schmieden«, erinnerte James die beiden.
Schweigen breitete sich aus, als Poppy klar wurde, welche Art von Plänen er meinte. Sie spürte, dass auch Phil sofort Bescheid wusste.
»Du bist noch nicht außer Gefahr«, sagte James leise und sah ihr fest in die Augen. »Es ist noch ein Blutaustausch nötig und den sollten wir so schnell wie möglich hinter uns bringen. Sonst könntest du einen Rückfall erleiden. Aber wir müssen den nächsten Austausch sehr sorgfältig planen.«
»Warum?«, wollte Phil wissen.
»Weil er mich töten wird«, antwortete Poppy, bevor James etwas sagen konnte. Als Phil zusammenzuckte, fuhr sie rücksichtslos fort. »Darum geht es doch, Phil. Es ist kein kleines Spiel, das James und ich spielen. Wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen, und das bedeutet nun mal, dass ich bald sterben werde. Und ich
sterbe lieber und wache als Vampir wieder auf, statt gar nicht mehr aufzuwachen.«
Es entstand wieder Schweigen. James nahm Poppys Hand. Erst da merkte sie, dass sie zitterte.
Phil sah auf. Sein Gesicht war angespannt, die Augen waren ganz dunkel. »Wir sind Zwillinge. Wieso bist du so viel reifer als ich?«, fragte er mit leiser Stimme.
James räusperte sich. »Morgen Nacht wäre ein günstiger Zeitpunkt. Es ist Freitag. Glaubst du, du kannst es schaffen, dass deine Mutter und Cliff ausgehen?«
Phil blinzelte. »Vielleicht - wenn es Poppy besser zu gehen scheint. Und wenn ich anbiete, dass ich bei ihr bleibe.«
»Überzeuge sie, dass sie mal etwas Abwechslung brauchen. Ich will sie nicht im Haus haben.«
»Kannst du es nicht so anstellen, dass sie gar nichts davon mitbekommen? So wie neulich bei der Krankenschwester?«, wollte Poppy wissen.
»Nicht, wenn ich mich auf dich konzentrieren muss«, erklärte James. »Und es gibt Menschen, die kann man einfach nicht telepathisch beeinflussen. Dein Bruder ist so ein Beispiel. Bei deiner Mom könnte es dasselbe sein.«
»Okay. Ich schaffe das schon.« Phil schluckte. Das alles war ihm furchtbar unangenehm, und er versuchte, seine Gefühle zu verbergen. »Und wenn sie weg sind? Was dann?«
James sah ihn unergründlich an. »Dann tun Poppy und ich, was wir tun müssen. Danach werden du und ich ein wenig fernsehen.«
»Fernsehen?«, wiederholte Phil wie vor den Kopf geschlagen.
»Ich muss hier sein, wenn der Arzt kommt und die Leute vom Beerdigungsinstitut den Sarg bringen.«
Bei seiner letzten Bemerkung sah Phil völlig entsetzt aus. Auch Poppy fand die Vorstellung nicht gerade
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