Night World - Retter der Nacht
Chance, die allerletzte Chance, sich von ihnen zu verabschieden. Poppy rief ihnen nach und beide drehten sich um und lächelten.
Als sie weg waren, kamen James und Phil in Poppys Zimmer. Poppy sah James an. Seine grauen Augen verrieten nichts von seinen Gefühlen.
»Jetzt?«, fragte sie mit leicht zitternder Stimme.
»Jetzt.«
KAPTITEL ZEHN
»Wenn es jetzt geschieht, dann richtig«, sagte Poppy. »Hol ein paar Kerzen, Phil.«
Phil wirkte hager und grau im Gesicht. »Kerzen?«
»So viele du finden kannst. Und ein paar Kissen. Ich brauche viele Kissen.« Sie kniete sich vor die Stereoanlage und sah einen Stapel CDs durch. Phil starrte sie kurz an und ging dann hinaus.
Poppy traf ihre Musikwahl sorgfältig. Es dauerte ein bisschen, bis sie zufrieden war und eine melancholische Traummusik gefunden hatte.
»Du wirst nicht sterben, Poppy«, erinnerte James sie. »Du wirst dich nur verändern und liegst hier nicht auf dem Totenbett.«
»Aber ich gehe fort.« Sie konnte es nicht erklären, doch instinktiv wusste sie, dass sie das Richtige tat. Ihr altes Leben starb. Es war ein Übergang, eine feierliche Angelegenheit.
Obwohl es jetzt natürlich keiner von beiden erwähnte, wussten sie, dass sie tatsächlich sterben konnte. James war in diesem Punkt brutal ehrlich gewesen - manche Menschen schafften die Umwandlung nicht.
Phil kam mit Kerzen und Kissen zurück. Poppy verteilte
die Kerzen im Zimmer, zündete sie an und legte die Kissen auf ihr Bett. Sie ging ins Bad und zog ihr Lieblingsnachthemd an.
Im sanften Schein der Kerzen wirkte das Zimmer geheimnisvoll und wunderschön. Die Musik war romantisch und so sanft, als wollte sie Poppy in eine Traumwelt entführen. Alles passte zusammen.
Aber etwas fehlte. Sie nahm einen Bügel aus dem Kleiderschrank und holte damit ihre Lieblingsstofftiere aus dem obersten Regal, den blonden Löwen und das graue Eselchen, dem ein Ohr fehlte. Sie nahm sie mit ins Bett und legte sie auf den Kissenberg. Vielleicht war es albern, vielleicht war es kindisch, aber sie wollte die treuen Gefährten ihrer Kindheit bei sich haben.
Poppy setzte sich aufs Bett und schaute James und Phillip an.
Beide erwiderten ihren Blick. Phil sah man an, wie aufgeregt er war. James war ebenfalls nervös, doch niemand, der ihn nicht so gut kannte wie Poppy, konnte es ihm anmerken.
»Ist schon okay«, versicherte Poppy ihnen. »Mir geht es gut. Also behaltet die Nerven, Jungs.«
Ihr Scherz kam an, denn sie sagte die Wahrheit. Es ging ihr gut. Sie war ruhig. Ihr Verstand war so klar, als ob von nun an alles ganz einfach wäre. Sie sah die Straße vor sich, der sie jetzt nur noch Schritt für Schritt folgen musste.
Phil kam ans Bett und drückte ihre Hand. »Wie - wie soll das Ganze eigentlich ablaufen?«, fragte er James heiser.
»Erst werden wir unser Blut austauschen.« James sprach zu Poppy und sah nur sie an. »Es muss nicht viel sein. Du hast bereits die Grenze erreicht, an der man sich verändert. Dann kämpfen die beiden Blutsorten miteinander, so eine Art letztes Gefecht, wenn du weißt, was ich meine.« Er lächelte ein wenig schmerzlich und Poppy nickte.
»Während das geschieht, wirst du immer schwächer und schwächer. Und dann wirst du - einfach einschlafen. Die Veränderung geschieht, während du schläfst.«
»Wann wache ich auf?«, wollte Poppy wissen.
»Ich werde dich hypnotisieren und dir sagen, wann du aufwachen musst. Das wird dann sein, wenn ich dich hole. Mach dir darüber keine Sorgen. Ich habe die Einzelheiten genau durchdacht. Du kannst beruhigt einschlafen.«
Phil fuhr sich nervös durch das Haar, als würde er gerade an die Einzelheiten denken, mit denen James und er fertig werden mussten. »Warte mal eine Sekunde.« Seine Stimme war nur noch ein Krächzen. »Wenn du sagst ›schlafen‹, dann wird sie aussehen …«
»… wie tot«, beendete Poppy den Satz, als seine Stimme versagte.
James sah Phil kalt an. »Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt.«
»Und danach? Was wird danach mit ihr passieren?«
James’ Blicke hätten töten können. »Das weißt du«, stieß er hervor. »Sie kann nicht einfach so verschwinden. Wir hätten die Polizei und die Leute der Nachtwelt auf den Fersen, die nach ihr suchen würden. Nein, es muss so aussehen, als ob sie gestorben ist, und das bedeutet, dass alles so ablaufen wird, als sei sie wirklich tot.«
»Bist du sicher, dass es keinen anderen Weg gibt?« Phil war verzweifelt.
»Ja.«
Phillip befeuchtete seine Lippen.
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