Night World - Retter der Nacht
blitzten. Und auf der anderen Seite stand ein heruntergekommenes Motel mit einem Schild: »Zimmer für 18 Dollar«.
»Also das ist die Nachtwelt«, sagte sie mit leicht amüsiertem Spott und kam sich dabei ziemlich erwachsen vor.
»Quatsch. Das ist doch nur für die Touristen«, wehrte Ash ab. »Aber es ist gut fürs Geschäft und man kann hier wilde Partys feiern. Ich werde dir die echte Nachtwelt noch zeigen. Zuerst aber möchte ich zu meinen Cousinen.«
Poppy überlegte, ob sie ihm sagen sollte, dass sie nicht darauf erpicht war, sich gerade von ihm die Nachtwelt zeigen zu lassen. Etwas an seinem Verhalten machte ihr zu schaffen. Er benahm sich weniger wie jemand, der sie ins Exil begleitete, sondern eher, als sei er ihr Freund, mit dem sie eine Verabredung hatte.
Aber er ist der Einzige, den ich hier kenne, dachte sie
mit sinkendem Mut. Und ich habe nicht einen Cent. Nicht einmal die 18 Dollar, um mir das schäbige Motel leisten zu können.
Und es gab noch etwas Schlimmeres. Sie war schon seit einiger Zeit hungrig, und jetzt begann sie wieder, nach Luft zu ringen. Aber sie war nicht mehr das benommene, gedankenlose Tier, das sie letzte Nacht gewesen war. Sie wollte nicht irgendeinen Menschen auf der Straße anfallen.
»So, da sind wir.«Ash war in eine dunkle Seitenstraße eingebogen, die nicht so übervölkert war wie der Strip. »Ich schaue mal nach, ob sie zu Hause sind.«
Auf jeder Straßenseite ragten hohe Gebäude auf. Die Stromleitungen darüber versperrten den Blick auf den Himmel. Ash klopfte an eine Tür, die außen keinen Türknopf besaß. Es gab auch kein Namensschild, nur ein ungelenk aufgesprühtes Graffito. Es war das Bild einer schwarzen Dahlie. Die Tür wurde geöffnet, er verschwand und zog sie hinter sich zu.
Poppy starrte auf einen Müllcontainer und versuchte, gleichmäßig und tief zu atmen. Ein und aus, ein und aus. Alles ist in Ordnung, versuchte sie, sich zu beruhigen. Es gibt genug Luft. Du spürst es vielleicht nicht, aber es ist Luft da.
Die Tür wurde wieder geöffnet und Ash winkte sie herein.
»Das ist Poppy«, sagte er und legte ihr den Arm um
die Schultern, während sie über die Schwelle stolperte. Der Raum sah aus wie ein Laden voller Kräuter, Kerzen und Kristalle. Da waren noch ein paar andere, seltsame Dinge, die Poppy nicht erkannte. Dinge, die nach Hexerei aussahen.
»Und das sind meine Cousinen. Das ist Blaise und das ist Thea.« Blaise sah einfach umwerfend aus. Sie hatte wilde schwarze Locken und eine Menge Kurven. Thea war schmaler und blond. Beide verschwammen vor Poppys Augen.
»Hi.« Mehr brachte sie nicht heraus.
»Ash, was ist bloß mit dir los? Das Mädchen ist krank. Was hast du mit ihm gemacht?« Thea sah Poppy aus mitfühlenden braunen Augen an.
»Was? Nichts.« Ash wirkte überrascht, als würde ihm Poppys Zustand zum ersten Mal auffallen. »Sie ist wahrscheinlich hungrig. Wir müssen noch mal raus und Nahrung zu uns nehmen.«
»Nein, das tust du nicht. Nicht in unserer Nachbarschaft. Außerdem würde sie es nicht mehr schaffen«, sagte Thea bestimmt. »Komm, Poppy. Ich werde diesmal deine Spenderin sein.«
Sie nahm Poppy beim Arm und führte sie durch einen Perlenvorhang in ein anderes Zimmer. Poppy ließ sich mitzerren. Sie konnte nicht mehr klar denken. Ihr ganzer Oberkiefer schmerzte. Schon bei dem Wort ›Nahrung‹ wurden ihre Eckzähne scharf.
Ich brauche … Ich muss …, dachte sie.
Aber sie wusste nicht, wie sie es tun sollte. Sie stellte sich ihren Anblick im Spiegel vor: die silbernen Augen und die spitzen Zähne. Sie wollte nicht mehr dieses Tier sein und Thea anfallen und ihr die Kehle aufreißen. Aber sie konnte auch nicht fragen, was sie statt-dessen machen sollte. Damit würde sie verraten, dass sie ein frisch verwandelter Vampir war. Zitternd stand sie da und konnte sich nicht mehr bewegen.
KAPTITEL FÜNFZEHN
»Komm. Es ist okay«, sagte Thea. Sie schien in Poppys Alter zu sein, aber sie hatte eine einfühlsame, sanfte Art, die ihr Autorität verlieh. »Setz dich hierher.« Sie führte Poppy zu einer abgenutzten Couch und hielt ihr das Handgelenk hin. Poppy starrte es einen Moment an, dann erinnerte sie sich.
James hatte ihr Blut aus seinem Arm gespendet. So musste man es machen. Freundlich und zivilisiert.
Sie konnte die blauen Adern unter der Haut erkennen. Und dieser Anblick vertrieb den letzten Rest jeglicher Zögerlichkeit. Sie griff nach Theas Arm, biss zu und trank.
Diese warme, salzige Süße. Das war Leben.
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