Nightschool. Du darfst keinem trauen
Die Station liegt im ersten Stock, du erkennst sie, wenn du da bist.«
Allie zögerte. Sie hätte Jules gern mehr vertraut und sich richtig mit ihr unterhalten. Als sie keine Anstalten machte zu gehen, hob die Vertrauensschülerin die perfekt geschwungenen, blonden Augenbrauen und fragte: »Ist noch was?«
»Es ist nur …« Allie wickelte sich den Saum ihrer Bluse um den Finger. »Carter meinte, du hättest ihm gestern Abend Bescheid gesagt, dass ich ihn suche. Dafür wollte ich dir danken. Das hättest du ja nicht tun müssen.«
Jules verschränkte locker die Arme. »Gern geschehen. Obwohl mir wohler wäre, wenn ich wüsste, was du wirklich von ihm wolltest. Nach all dem, was mit Jo passiert ist, frage ich mich, ob ich meine Freundlichkeit nicht bereuen sollte.«
»Aber ich wollte Jo doch nur helfen!«, protestierte Allie. »Ich hab ihr weder Wodka zu trinken gegeben noch sie aufs Dach gelockt. Ich hab nur versucht, ihr das Leben zu retten. Ich verstehe nicht, was daran so verwerflich ist.«
»Wieso hast du nicht erst mir Bescheid gesagt?«, fragte Jules.
»Wieso hätte ich das tun sollen?«, entgegnete Allie. »Du hättest doch nur versucht, sie reinzureißen.«
Jules wirkte verärgert und zugleich auch ein wenig gekränkt, zumindest kam es Allie so vor. »Solange ihr in diesem Stockwerk seid, bin ich für euch verantwortlich, Allie. Du darfst dich nicht in solche Gefahren begeben wie heute. Apropos: Wieso erfahre ich eigentlich von Carter, dass du Panikattacken hast, und nicht von dir selbst? Meine Aufgabe ist es nicht, dir einen Arrest einzubrocken oder dich zur Schnecke zu machen. Ich bin hier, um dir zu helfen. Aber was ich auch tue, du behandelst mich wie eine Feindin.«
Das kam so überraschend, dass Allie einen Moment lang sprachlos war. »Ich hab doch nur … Ich hab gedacht, du kannst mich nicht leiden«, sagte sie schließlich.
»Es ist nicht so, dass ich dich nicht leiden kann«, erwiderte Jules. »Du warst nur immer so eingeschüchtert von mir und so zornig, und ich hab keinen Weg gefunden, dir zu zeigen, dass ich nicht deine Feindin bin.«
»Aber du bist mit Katie befreundet, und die hasst mich ja wohl echt!«
Zu ihrer Überraschung lachte Jules kurz auf und hob dann entschuldigend die Hand.
»Ich bin mit Katie befreundet, und ja, sie hasst dich, aber nur, weil sie eifersüchtig ist. Sie mag Sylvain, und Sylvain mag dich, und weil sie das als Kränkung empfindet, ist sie gemein zu dir. Sie ist gewohnt zu bekommen, was sie will. Aber du musst wissen: Ich hab damit nichts zu tun. Ich sag ihr die ganze Zeit, dass sie endlich erwachsen werden und dich in Ruhe lassen soll, aber«, sie zuckte die Schultern, »Katie muss selbst wissen, was sie tut.«
Jules wurde ernst. »Also beurteile mich nicht nach ihrem Verhalten, sondern nach meinem.«
Verlegen rieb Allie die Fußspitzen gegeneinander. »Es tut mir wirklich leid, Jules. Ich bin echt bescheuert.«
»Schon gut«, sagte Jules. »Ich hätte mich schon längst mal in Ruhe mit dir unterhalten sollen. Als Vertrauensschülerin sollte ich wissen, wie man mit so was umgeht. Ich fände es wirklich schön, wenn wir diese Sache nun hinter uns lassen könnten.«
Mit aufforderndem Blick hielt sie Allie die Hand hin. »Vertragen wir uns wieder?«
Allie zögerte den Bruchteil einer Sekunde, dann schlug sie ein.
»Gut, dann geh jetzt zu Lisa – wahrscheinlich fällt ihr schon die Decke auf den Kopf«, sagte Jules und zog sich in ihr Zimmer zurück. Mit ihrer normalen, offiziellen Stimme fügte sie hinzu: »Und keine Ausflüge aufs Dach mehr, wenn ich bitten darf.«
Wie habe ich mich so in ihr täuschen können? Oder habe ich mich gar nicht getäuscht?, überlegte Allie auf dem Weg zur Krankenstation.
Ihr fiel ein, wie Carter und Sylvain sie ausgelacht hatten, als sie ihnen von ihrer Abneigung gegenüber Jules erzählt hatte. Die beiden fanden sie offenbar großartig, auch wenn Sylvain eingeräumt hatte, sie könne manchmal etwas schwierig sein.
Aber schwierig ist nicht gleich böse.
Dass die beiden sie in Schutz genommen hatten, hatte Allie immer total genervt, doch wenn sie Jules wirklich völlig falsch eingeschätzt hatte, wäre das Verhalten der beiden plausibel.
Sie versuchte sich in Erinnerung zu rufen, welche Äußerungen der Vertrauensschülerin sie so aufgeregt hatten, doch jetzt fiel ihr nur noch Jules’ verdutzter Gesichtsausdruck ein, wenn Allie wütend geworden war oder sich aufgeregt hatte.
Trotzdem war es seltsam, dass Jules
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