Nightschool. Du darfst keinem trauen
sie träume.
Dann hörte sie den Mann atmen.
»Carter?«, murmelte sie schläfrig.
Sie ahnte die plötzliche Bewegung mehr, als dass sie es sah, als die Gestalt geschmeidig auf den Tisch sprang und von dort mit der Flinkheit eines Akrobaten durchs Fenster schlüpfte.
Das ist ja gar nicht Carter , dachte sie, und diese Einsicht riss sie aus ihrer Starre. Sie richtete sich kerzengerade im Bett auf, starrte für den Bruchteil einer Sekunde auf das offene Fenster und sprang dann auf, um das Deckenlicht einzuschalten.
Das Zimmer war leer. Aber es war jemand da gewesen, das war sicher. Die Bücher und Papiere auf ihrem Tisch waren in Unordnung. Ein Stift, der auf einem Block gelegen hatte, als sie zu Bett gegangen war, lag nun auf dem Fußboden.
Sie hatte also nicht geträumt.
Allie zwang sich, regelmäßig zu atmen. Dann kletterte sie auf den Tisch und blickte durchs Fenster, doch sie sah nur die in blasses Mondlicht getauchte Landschaft.
Obwohl die Nacht warm war, zitterte sie. Sie schloss das Fenster, verriegelte es sorgfältig und prüfte, ob der Riegel auch hielt. Dann kletterte sie zurück in ihr Bett und saß noch lange wach da, die Arme um ihre Knie geschlungen.
Achtundzwanzig
»Vielleicht hast du geträumt«, wiegelte Carter ab, seine Anspannung war unübersehbar.
»Hab ich nicht«, beharrte Allie. »Meine Sachen waren durcheinander. Und außerdem hab ich ihn gesehen.«
Sie saßen zusammen mit Rachel im Pavillon, es war kurz nach Unterrichtsschluss. Der Himmel war grau und unheilvoll, doch bis jetzt hatte es noch nicht angefangen zu regnen.
»Im Traum sieht man schon mal Menschen«, bemerkte er. »Woher willst du so sicher wissen, dass du nicht geschlafen hast und es nicht der Wind war, der die Sachen durcheinandergeweht hat?«
»Hast du dich gezwickt?«, mischte sich Rachel ein. »Oder sonst was getan, um dich zu vergewissern, dass du wach warst? Träume können sehr real sein.«
»Ich hab ihn gesehen «, sagte Allie zunehmend frustriert. »Warum glaubt ihr mir nicht? Ich saß aufrecht im Bett, als er durchs Fenster raus ist. Das war kein Traum. Er war in meinem Zimmer.« Sie schauderte. »Er war in meinem Zimmer.«
»Schon gut.« Rachel legte die Arme um sie. »Alles in Ordnung. Wir glauben dir. Wir wollen nur sichergehen. Sag uns genau, was du gesehen hast. Wie sah er aus?«
Allie legte die Stirn in Falten und versuchte, sich an alle Einzelheiten zu erinnern. »Er war kleiner als Carter, und schmaler. Ganz in Schwarz gekleidet, mit hellem Haar, fast blond, meine ich.«
Pro forma gingen sie die Liste der Schüler durch, auf die eine solche Beschreibung möglicherweise gepasst hätte, sortierten aber alle aus.
»Von den Night-Schoolern sieht keiner so aus«, sagte Carter schließlich. »Und aufs Dach kommen zurzeit nur die aus der Night School.«
»Die Night-Schooler und der Typ, der heute Nacht in meinem Zimmer war«, sagte Allie. »Ich muss dir noch was beichten, Carter …«
Sie hatte ihm bisher nicht von ihrer Unterhaltung mit Sylvain erzählt, aber das holte sie jetzt nach. Carter hörte mit angespanntem Kiefer zu, und als sie fertig war, sprang er wortlos auf und stürmte mit großen Schritten aus dem Pavillon. Am Waldrand blieb er mit dem Rücken zu ihnen stehen.
»Oh, oh«, sagte Allie und wollte schon aufstehen und zu ihm gehen. Dann änderte sie ihre Meinung und setzte sich wieder.
»Lass ihm ein bisschen Zeit. Der kommt schon wieder runter von seiner Palme«, sagte Rachel. »Und dann bring ich ihn mit meinen Neuigkeiten wieder rauf.«
»Neuigkeiten?«, fragte Allie und hob interessiert die Brauen.
»Wart’s ab«, erwiderte Rachel mit Blick auf Carter. »Das möchte ich lieber nur einmal erzählen.«
Carter kam zurück. Die Röte, die sein Gesicht überzogen hatte, als er ihre Geschichte angehört hatte, war gewichen, er hatte sich wieder beruhigt.
»Ich glaube ihm«, sagte er. »Sylvain ist ein Arschloch, aber wenn einer Bescheid weiß, dann er. Allerdings hätte er es mir sagen müssen, nicht dir.« Er sah wütend aus. »Aber er steht nun mal auf dich, deshalb hat er es auf die Tour gemacht. Meinetwegen, wenigstens wissen wir jetzt Bescheid.«
Allie sah zu Rachel hinüber. Rachel zuckte zusammen, dann wandte sie sich an Carter. »Ich muss dir auch was sagen, das dir nicht gefallen wird.«
»Und was?«, knurrte er. »Ist das etwa noch zu toppen?«
»Ich hab meinem Vater erzählt, was hier los ist.«
»Hervorragend! Das wird ja immer besser!« Carter raufte sich die
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