Nightschool. Du darfst keinem trauen
Aufgabenzettel aus. Allie starrte auf seine ordentliche Handschrift:
Die sozio-ökonomischen Auswirkungen des Englischen Bürgerkriegs auf die damalige Agrargesellschaft.
3000 Wörter bis Montag. Keine Ausnahmen. Keine Ausreden.
Am Freitagnachmittag war die Bibliothek derart überfüllt, dass die Schüler, die keine Sitzplätze mehr bekommen hatten, bis in den Flur hinausschwappten, wo sie in kleinen Trauben auf dem Boden saßen und ihre Bücher und Papiere um sich ausbreiteten.
»Das reinste Flüchtlingscamp«, brummte Jo, als Allie und sie Armladungen voller Bücher Richtung Haupteingang schleppten, wo sie noch ein freies Plätzchen entdeckt hatten.
»Wie lang wollen die mit diesem Wahnsinn eigentlich noch weitermachen?«, fragte Allie und balancierte dabei eine Porzellantasse auf einem jahrhundertealten Geschichtsbuch. Sie ließ sich nieder.
»Gute Frage«, sagte Jo, während sie die Tasse aus ihrer wackeligen Position rettete, bevor sie auf dem Steinboden zerschellen konnte.
»Danke«, sagte Allie und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.
Jo nippte an Allies Tee. »Ich hätte mir auch so einen holen sollen. Stattdessen trink ich jetzt deinen aus.«
»Und wir hätten unbedingt Kekse mitnehmen sollen.«
»Wir sind vielleicht Idioten.«
Mit konzentrierter Miene kramte Allie in ihren Büchern. »Wo ist eigentlich Gabe? Ich hab ihn die ganze Woche über kaum gesehen. Und Sylvain auch nicht.«
Jo suchte nach dem richtigen Schreibheft. »Weiß nicht. Er hat gesagt, er hätte noch was zu tun und würde seine Arbeit später schreiben.«
»Schon komisch«, meinte Allie. »Da ziehen die Lehrer dermaßen die Daumenschrauben an, aber Sylvain und Gabe tun so, als wär nix.«
Jo zuckte die Achseln. »Keiner sagt einem, was eigentlich los ist. Gabe und ich hatten voll den Streit deswegen, dabei streiten wir uns normalerweise nie.«
»Ich sag’s ja: Jungs …«, meinte Allie.
Jo hatte endlich das richtige Schreibheft gefunden und blätterte nun darin. »Ich weiß nur, dass die Night-School-Leute jeden Abend rausgehen«, sagte sie abwesend, »und das hat todsicher was mit neulich zu tun. Aber das ist streng geheim.«
Allie hielt inne und starrte sie an, zwischen den Fingern eine mürbe, vergilbte Buchseite.
»Moment mal, du weißt, wer auf die Night School geht?«
Jo erstarrte. Sie machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Nein. Eigentlich nicht. Ich mein, ich hab nur so … geraten. Ein paar von denen machen auch kein großes Geheimnis draus.«
»Zum Beispiel wer?«
»Ich weiß nicht«, sagte Jo vorsichtig. »Ich meine, nur mal so ’ne Vermutung: Sylvain könnte dabei sein und Phil, vielleicht noch Lucas und möglicherweise Gabe und Carter. Wer weiß?«
Sie war eine derart schlechte Lügnerin, dass Allie sie ausgelacht hätte, wenn sie nicht so überrascht gewesen wäre.
»Soll das heißen, dein eigener Freund macht mit, aber du bist dir nicht sicher?«
Jo vergewisserte sich, dass niemand auf sie achtete, und beugte sich dann zu Allie vor. »Die Sache ist supergeheim«, flüsterte sie. »Wenn irgendjemand rausfindet, dass du darüber geredet hast, kriegst du richtig Ärger. Und zwar richtig viel Ärger.«
»Das heißt, wir sollten jetzt lieber nicht darüber reden?«, flüsterte Allie.
»Nein«, zischte Jo.
Allie wandte sich wieder ihrem Buch zu und blätterte langsam Seite für Seite um, doch ihre Gedanken kreisten die ganze Zeit um Jos Worte.
Sie beugte sich erneut vor. »Und keine Mädchen?«
Jo sah sie bedeutungsvoll an.
»Vielleicht Jules«, formte sie mit den Lippen. »Und Ruth.«
Allies Augen weiteten sich. »Echt jetzt?«, fragte sie ungläubig.
Jo hob ihre rechte Hand. »So wahr mir Gott helfe.«
Die nächste halbe Stunde arbeiteten sie schweigend vor sich hin. Nur wenn sie sich eine Notiz machten oder eine Seite umblätterten, war etwas von ihnen zu hören. Bis Allie unvermittelt den Kopf hob.
»Das erklärt natürlich, warum Carter letzten Samstag so heftig reagiert hat«, sagte sie, als wäre ihr Gespräch nie unterbrochen worden.
Jo sah sie neugierig an. »Was? Wieso? Und … wann?«
Allie erklärte, wie Carter sie aus dem zweiten Stock gescheucht hatte.
»Interessant«, sagte Jo, als Allie fertig war. »Ich wusste gar nicht, dass die sich auch hier im Gebäude treffen. Und auch noch tagsüber? Das ist schon komisch.«
Allie ließ den Stift kreiseln, was ihr diesmal einen Tintenfleck an der Handkante eintrug. Vergeblich rieb sie daran. »Was genau machen die da
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