Nightshifted
Sitzreihen, von denen
aus die zukünftigen Chirurgen alles beobachten konnten. Ohne Lehrauftrag und mit
gewinnorientierten Investitionsgeldern war es schicker, neue OP -Säle zu bauen statt die
alten zu modernisieren. Diese Räumlichkeiten waren aufgegeben worden und
dienten heutzutage als Lagerräume oder als Schauplatz für das ein oder andere
Stelldichein.
Und so hatte ich das Untergeschoà im Gedächtnis: Bis
zu halber Höhe grün gefliest, damit man es später umso besser mit Bleiche und
Wasserschlauch reinigen konnte, niedrige Decken und kaputte Lampen, damit man
nicht so genau sehen musste, mit wem man da nach seiner Schicht eigentlich
rummachte â nicht, dass ich das jemals getan hätte, oder zumindest nicht öfter
als ein- oder zweimal.
Aber nun bot sich uns ein anderer Anblick: Die
einzelnen Operationssäle waren zu einem verbunden worden, indem die
Zwischenwände rausgerissen worden waren, sodass unverbundene Sitzreihen
zurückblieben. Aus Decke und Boden ragten Rohre und Leitungen hervor, riesige
Metallkanäle, in denen Strom führende Drähte oder Wasserrohre verliefen. An
nackten Kupferdrähten hingen Glühbirnen von der Decke, deren schwaches Licht
kaum die Dunkelheit durchdrang. Und überall waren Vampire: Sie saÃen auf
Rohren, standen auf dem Geröll zwischen den ehemaligen Sälen und belegten alle
verfügbaren Sitze. Insgesamt bildeten sie zwei Parteien, die sich in jeweils
ähnlich gekleideten Gruppen versammelten oder sich zumindest ähnlich
verhielten, und ihre Blicke waren samt und sonders auf mich gerichtet. Ich
versteckte mich hinter Ti.
»Lasst sie durch!«, drang von unten eine Stimme zu
uns herauf. Ti machte sich auf den Weg nach unten, und ich folgte ihm, eine
Hand an seinem Rücken, mit der anderen stützte ich mich an der bröseligen Mauer
ab. Dabei versuchte ich, an ihm vorbeizuschauen, wobei ich mir fast den Knöchel
verstauchte, als ein loser Betonbrocken unter meinem Fuà wegrutschte. Aber
auÃer noch mehr Vampiren gab es ohnehin nichts zu sehen. Als Ti über einen
Absatz sprang, war ich kurzzeitig etwas gröÃer als er und entdeckte am Boden
des Amphitheaters Sike, die neben Mr. Weatherton stand. Verzweifelt suchte ich
die Menge nach Anna ab, konnte ihr Glühen aber nirgendwo entdecken und fragte
mich kurz, wo sie wohl gefangen gehalten wurde. Ti hob mich hinüber und stellte
mich neben sich wieder ab.
»Sieht nicht gut aus«, sagte er. Ich nickte.
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Der Boden bestand aus
Geröll und Betonbrocken, als hätte eine riesige Hand hier eine Lichtung
geschaffen und unebene Furchen zurückgelassen. Geoffrey und Sike standen auf
der anderen Seite eines dicken, nach oben offenen Abflussrohrs, das ungefähr so
breit war wie ich groà und von dem scharfkantige Betonsplitter aufragten. Wir
suchten uns einen Weg zu ihnen, und als wir an dem Rohr vorbeigingen, blickte
ich in die Ãffnung, wo ich eigentlich nichts als Schwärze zu sehen erwartete.
Doch stattdessen war es fast bis zum Rand mit Flüssigkeit gefüllt, deren
Oberfläche sich durch unsichtbare Kräfte kräuselte und dabei schwefelgelbe,
milchig weiÃe und graue Schlieren bekam. Das gesamte Ding, also das
einzementierte Rohr und sein modriger Kern, erinnerten mich an einen
vereiterten Zahn. Ich konnte nur hoffen, dass sie Anna nicht ausgerechnet darin
ertränken wollten.
Mr. Weatherton signalisierte uns, näher zu kommen,
wobei er durch die weiten Ãrmel seiner Robe aussah wie eine dürre Fledermaus.
Er trug eine voluminöse weiÃe Perücke, deren Puder auf seine Schultern
abfärbte. Die Tatsache, dass Ti ebenfalls zur Party gekommen war, lieà den
ältlichen Vampir säuerlich das Gesicht verziehen, doch er schickte ihn nicht
weg. Sike stand direkt neben ihm. Sie trug einen modernen Hosenanzug, und ihre Bluse
hatte einen hohen Kragen, der ihren Hals verdeckte.
»Meine Klientin ist eingetroffen! Sollen wir
beginnen?«, fragte er. Seine Stimme hallte von den Wänden wider. Bis jetzt war
mir gar nicht aufgefallen, wie still es im Saal war. Jetzt, wo ich mich nicht
mehr darauf konzentrieren musste, nicht hinzufallen, konnte ich hören, dass
sich in diesem Raum auÃer mir nichts rührte.
Hinter dem Abflussrohr befand sich noch ein halber
Saal mit Sitzreihen. Wir schauten auf eine Galerie voller Zverskiye, ein
schwarzer Wollmantel reihte sich an den anderen. Sie hockten in den Sitzen
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