Nightshifted
wieder umkehrte. Ich erkannte einen deutlichen Rist und klar getrennte
Zehen in den Abdrücken. Dann beschlug die Scheibe durch meinen Atem, und ich musste
sie erst wieder sauber wischen, um wieder hinausstarren zu können, wo gerade
Wind aufkam.
Konnte das ⦠was hatte Jake noch mal gesagt, über das
unheimliche Kind meiner Nachbarn? Meine Nachbarn hatten doch gar keine Kinder.
In Apartment neun gab es ein Baby, aber solange sie den Kleinen nicht mit
Monsterwachstumshormonen fütterten, war es unmöglich, dass er diese Spuren
hinterlassen haben konnte, noch dazu ohne Schuhe.
Der längste und lauteste Weckruf meines Handys ging
an, der absolut letzte »Wenn du es noch pünktlich schaffen willst, musst du
deinen Hintern jetzt aus der Tür schieben«-Alarm. Ich schaltete ihn ab und
stürzte ins Bad, um mir die Zähne zu putzen.
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Als ich mit Mantel und
Tasche in der Hand nach drauÃen stapfte, starrte ich als Erstes auf die
FuÃspuren vor der Tür. Direkt unter meinem Fenster gab es einen kleinen Flecken
Erde, in dem im Sommer immer Löwenzahn wuchs. Der Wind hatte genug Schnee in
die flachen Abdrücke geweht, um mich kurz zögern und an meiner Wahrnehmung
zweifeln zu lassen. Ich war mir sicher, sie ganz deutlich gesehen zu haben.
Oder zumindest fast sicher, dachte ich, als sie nun vollständig verschwanden.
»Edie?«, rief jemand, und sofort wirbelte ich herum.
Instinktiv wich ich einen Schritt zurück und wünschte mir, ich hätte die
Haustür noch nicht abgeschlossen. Es war Asher, der gerade aus seinem warmen
Auto stieg. Er hatte Blumen dabei. Leuchtend bunte, teure Tropenblumen. Einen
Moment lang war ich völlig verblüfft.
»Hey«, sagte ich, als mir endlich wieder einfiel, wie
das ging. Er konnte es zwar nicht sehen, aber ich grinste wie ein
Honigkuchenpferd.
»Ich dachte mir, wir könnten uns vielleicht mal für
ein richtiges Date verabreden.« Demonstrativ streckte er mir den StrauÃ
entgegen.
»Das wäre nicht schlecht.« Ich trat in den Lichtkegel
der Parkplatzbeleuchtung. »Aber heute muss ich arbeiten.«
Er musterte mich in meinem grünen OP -Hemd samt Pferdeschwanz
und lieà plötzlich die Hand mit den Blumen sinken. »Ich hätte es wissen
müssen«, sagte er. Die Paradiesvogelblumen waren jetzt schon auf Höhe seiner
perfekten Oberschenkel angekommen.
»Was wissen müssen?«, fragte ich. Meine Wachsamkeit,
die ich â entweder aus Sentimentalität oder aus Erschöpfung â irgendwann
zwischen letzter Nacht und heute abgelegt hatte, meldete sich schlagartig zurück.
Gleichzeitig löste sich mein Lächeln in Luft auf, und die strenge Schwester
Edie übernahm das Kommando.
»Was du bist«, sagte er.
»Ich bin Krankenschwester«, erwiderte ich. Und dann
setzten sich die Puzzleteile wie von selbst zusammen. Der Akzent, das Geld, das
Auto â das Auftreten. »O mein Gott, du bist Arzt, oder?« Ein Arzt war so
ziemlich das Letzte, womit ich ausgehen wollte. Am Anfang bekamen sie es noch
ganz gut hin, einen auf menschlich zu machen â Allgemeinmediziner noch besser
als Chirurgen â, aber das hielt nie lange vor. Jede niedliche Schüchternheit,
mit der sie ihre Karriere begannen, wenn sie während ihrer Facharztausbildung
auf deine Station kamen und deine Hilfe brauchten, war verschwunden, sobald sie
als besserwisserischer Oberarzt zurückkehrten. Ich war schon unzähligen älteren
Ãrzten begegnet. Die Jahre, in denen sie bei den meisten Fällen recht behalten
hatten, kombiniert mit dem Drang, dass ihre Stimme immer die lauteste sein
musste, legten sich wie Perlmutt um ein Sandkorn aus ScheiÃe. Von auÃen mochten
sie ja wie Perlen aussehen â zumindest für Leute, die sie nicht um drei Uhr
morgens anrufen und um einen wichtigen Test betteln mussten â, aber wenn man
Krankenschwester war, kam es einem irgendwann so vor, als wären die meisten Ãrzte
Schweine.
Ich kannte keine einzige Beziehung zwischen Arzt und
Krankenschwester, die gehalten hätte, es sei denn, einer von ihnen war
Therapeut oder Zahnarzt.
»Wo arbeitest du denn?«, fragte er, als ich meine
Autoschlüssel aus der Tasche holte und mich an ihm vorbeischob.
»Hör mal, es ist schon okay. Du gehst nicht mit
Schwestern aus, und ich gehe nicht mit Ãrzten aus. Habâs kapiert. Wir sind
quitt.« Ich öffnete die Tür meines Autos
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