Nikotin
blickte flüchtig von ihrem Buch auf.
»Amüsier dich mit deinem Ball, Marcelle.«
Gehorsam ließ die Kleine ihren Ball aufspringen.
»Ich amüsiere mich«, murmelte Hercule Poirot mit e i nem sonderbaren Ausdruck. Er sah Satterthwaite an, nickte und fuhr fort: »Ja, es verhält sich so, wie Sie de n ken. Sie haben ein rasches Wahrnehmungsvermögen, Monsieur Satterthwaite.« Dann schwieg er längere Zeit und liebkoste seinen mächtigen Schnurrbart. »Sehen Sie, als Junge war ich arm. Herangewachsen, trat ich in den belgischen Polizeidienst und arbeitete unermüdlich. V o rankommen hieß meine Losung. Langsam stieg ich e m por. Ich begann mir einen Namen zu machen, erlangte sogar internationalen Ruf, und schließlich kam nach vi e len arbeitsreichen Jahren die Pensionierung. Dann brach der Krieg aus. Ich wurde verwundet, kam als trauriger, müder Flüchtling nach England, wo mir eine gütige D a me Gastfreundschaft gewährte. Sie starb – nicht eines natürlichen Todes. Nein, man ermordete sie. Eh bien, ich strengte meinen Verstand an, gebrauchte meine kleinen grauen Zellen, mit dem Erfolg, dass ich ihre Mörder au f spürte. Gleichzeitig aber lieferte ich mir hierdurch den Beweis, dass ich noch nicht am Ende war. Im Gegenteil, meine Fähigkeiten waren größer als je. Und so begann meine zweite Laufbahn – die eines Privatdetektivs in England. Viele fesselnde und verblüffende Probleme h a be ich als solcher gelöst. Ah, Monsieur, ich habe gelebt! Die Psychologie der menschlichen Natur ist wunderbar. Ich wurde reich. Eines Tages sagte ich mir: Ich will alles Geld haben, das ich mir je ersehnte; ich will damit alle meine Träume verwirklichen.« Er legte seine Hand auf Mr Satterthwaites Knie.
»Mon ami, hüten Sie sich vor dem Tag, an dem Ihre Träume Wirklichkeit werden. Jenes Kind neben uns hat fraglos auch geträumt von der Reise an die Riviera, von dem aufregenden Neuen – davon, wie verschieden alles sein würde im Vergleich zum englischen Alltag. Verst e hen Sie?«
»Ja, ich verstehe, dass Sie sich nicht amüsieren.«
Poirot nickte.
»Sehr richtig.«
Es gab Momente, wo Mr Satterthwaite aussah wie ein Kobold. Das war so ein Moment. Sein zerknittertes G e sicht zuckte. Noch zögerte er. Sollte er? Sollte er nicht?
Gemessen schlug er die vor einer halben Stunde g e kaufte Zeitung auf.
»Haben Sie das gesehen, Monsieur Poirot?«, fragte er und wies mit dem Zeigefinger auf den betreffenden A b satz.
Der kleine Belgier nahm ihm das Blatt aus der Hand. Kein Muskel rührte sich in seinem Gesicht, während er las, aber Mr Satterthwaite hatte den Eindruck, als ob Hercule Poirots Körper sich straffte wie der eines Te r riers, wenn er ein Rattenloch riecht.
Zweimal las Poirot die Zeilen, dann faltete er die Ze i tung wieder zusammen und gab sie ihrem Eigentümer zurück. »Das ist interessant.«
»Ja. Es sieht aus, als ob Sir Charles Recht und wir U n recht gehabt hätten.«
»Allerdings, so sieht es aus«, bestätigte der Detektiv. »Ich gestehe ganz offen, mein Lieber, dass ich nicht gla u ben konnte, jemand wäre imstande, einen solch symp a thischen alten Herrn zu ermorden… Nun, es mag sein, dass ich mich täuschte… obwohl dieser andere Tod eine Koinzidenz sein kann. Sie kommen vor – sogar die e r staunlichsten Koinzidenzen. Ich, Hercule Poirot, habe schier unglaubliche kennen gelernt.«
Er schloss einen Augenblick die Augen, und als er sie wieder öffnete, klang seine Stimme lebhafter. »Sir Charles’ Instinkt hat vielleicht das Richtige getroffen. Er ist ein Künstler, sensibel, für Eindrücke ungemein em p fänglich; er fühlt die Dinge eher, als dass er sie mit dem Verstand erfasst. Solch ein Verfahren erweist sich im L e ben oft als unheilvoll, bisweilen aber ist es gerechtfertigt. Wo sich Sir Charles gegenwärtig wohl aufhält?«
»In seinem Hotelzimmer«, lächelte Mr Satterthwaite. »Er packt. Wir fahren heute Abend nach England z u rück.«
»Parbleu!« Poirots Augen, leuchtend, forschend, sche l misch, sahen seinen Gefährten an. »Welchen Eifer er an den Tag legt, unser Sir Charles! Hat er sich also en t schlossen, diese Rolle zu spielen – die Rolle des Am a teurdetektivs? Oder liegt ein anderer Grund vor?«
Mr Satterthwaite begnügte sich mit einem Achselz u cken; doch auch aus diesem leitete Hercule Poirot eine Antwort ab.
»Ich verstehe«, erklärte er. »Die Augen Mademoiselles sind die Ursache. Nicht nur ein vermutetes Verbrechen.«
»Sie schrieb ihm und flehte ihn an,
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