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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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Bin eben janz uff der Linie von unserm Staat.«
    Sie lachte und stampfte mit dem Fuß auf beim Lachen, sodass die Gewürzfläschchen auf dem Regal wackelten.
    »Ich dachte«, sagte Nilowsky in ihr Lachen hinein, »du willst, dachte ich, Roberto mit den Gewürzen imponieren.«
    »Ach, Roberto.« Elli winkte lässig ab, obwohl sie verärgert war über Nilowskys Behauptung. »Hör mir bloß uff mit Roberto und seine Truppe. Von mir lassen sie sich bekochen, aber scharf sind sie uff die jungen Weiber. Jeht nich jung genug. Oder wie alt is die Carola, die is doch keene achtzehn …«
    »Hör auf!«, rief Nilowsky laut, aber Elli sagte mit einem leicht hämischen Grinsen: »Ach, kiek mal an, die Carola. Na ja, ick hab mir sowieso schon jedacht, dass du ’n Auge uff sie jeworfen hast.«
    »Hab ich überhaupt nicht, hab ich das«, entgegnete Nilowsky. »Aber du musst ja immer alles ganz genau wissen. Wahrscheinlich weil du dich so toll fühlst, weil du Gewürze aus ’m Westen klaust, deshalb fühlst du dich wahrscheinlich so toll, wie ’ne Hellseherin, die alles weiß, fühlst du dich.«
    Nilowsky war fast ins Stottern geraten, so aufgeregt war er und so bemüht, diese Aufgeregtheit nicht zuzulassen oder wenigstens zu überspielen. »Wir müssen weiter«, sagte er und verließ schnurstracks Ellis Wohnung. Mir blieb wieder nichts anderes übrig, als ihm eilig zu folgen.
    »Weißt du«, fragte er, als wir wieder auf der Straße waren, »warum ich dich mitgenommen hab zu Wally und zu Elli? Weil man bei denen nie sicher sein kann. Hast ja gehört: umso oller, umso doller. Stell dir mal vor, die wären mir an die Wäsche gegangen. Kann dir passieren, dass die dich vernaschen. Das kann dir bei denen passieren. Nur schnell weg, bevor die noch auf dumme Gedanken kommen, das sag ich dir.«
    Ich hätte mich nicht gewundert, wenn wir nun noch weitere ältere Frauen in Erdgeschosswohnungen oder sonst wo aufgesucht hätten, die für Roberto und die anderen Mozambiquaner kochten und die Nilowsky angeblich vernaschen wollten. Aber wir liefen zurück zum Bahndamm, ohne auch nur ein weiteres Wort zu wechseln. Als wir die Böschung hinaufgingen, meinte Nilowsky: »Bevor du nach Carola fragst, so neugierig wie du bist, verrat ich dir, was mit Carola ist und mit mir, das verrat ich dir lieber, besser als wenn du mich immer mit Fragen löcherst, mit deiner Neugier.« Ich hätte es nicht gewagt, ihn zu fragen, geschweige denn mit Fragen zu löchern, aber das sagte ich nicht. »Also, es ist so: Carola, die ist meine Braut. Ist sie. Also, von wegen Auge auf sie geworfen. Das wär ein bisschen wenig. Meine Braut, das ist sie. Ein für allemal. So, nun weißt du Bescheid. Und wenn du einem was davon verrätst, leg ich dich auf die Schienen, wie ’nen Sack voll Groschen, bis ein Zug dichplattdrückt, nur wenn du einem Einzigen was davon erzählst. Darauf kannst du Gift nehmen, wenn du einem was verrätst, das kannst du.«
    Wir waren zwischen den Gleisen angelangt, und ich sah, wie vom Norden her ein Schnellzug auf uns zukam. Gleichzeitig hörte ich Nilowsky neben mir jubeln: »Das ist der Siebzehnneuner, ist das, der Siebzehnneuner.«
    Er packte mich an den Armen, derart heftig, wie mich noch nie jemand gepackt hatte. Ich erschrak so sehr, dass ich mich losriss, die Böschung hinunterrannte, stolperte, stürzte, zu heulen anfing und die Arme vors Gesicht presste, um meine Tränen nicht zu zeigen. Während der Zug vorbeidonnerte, spürte ich, wie Nilowsky mich umfasste, an der Schulter, an den Beinen, mich hochhob und weiter die Böschung hinuntertrug. Ich fühlte mich geborgen in seinen Armen und musste noch heftiger heulen, so heftig, dass mein Körper bebte. Nilowsky drückte mich fest an sich und sagte: »Ist gesund, wenn man heult, richtig heult. Kann ich gar nicht mehr, so richtig heulen, ist gesund.«
    Als der Zug vorüber war, beruhigte ich mich wieder. Ein Sack voll Groschen, dachte ich immer wieder. Ich sagte nichts dazu. Schweigend gingen wir nach Hause.

8
    Ich hatte in der kurzen Zeit, in der ich am Bahndamm wohnte, schon mehr über Nilowsky erfahren – von ihm selbst, von anderen –, als ich über meine Schulkameraden aus dem Prenzlauer Berg wusste. Und das sollte bei Weitem noch nicht alles gewesen sein.
    Aber vorerst war er weg. Es war das erste Mal, seit wir uns kannten, dass er einfach weg war. Ich sah ihn weder in der Kneipe noch am Bahndamm noch sonst irgendwo. Vielleicht, dachte ich, ist er krank geworden und liegt zu Hause

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