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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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in seinem Bett. Obwohl das nicht zu ihm passte, wie ich fand: krank sein und im Bett liegen. Was auch immer war, ich vertraute darauf, dass er sich wieder bei mir melden würde. Ich wusste nicht, woher diese Gewissheit kam, sie war einfach da. Nach zwei Wochen jedoch sprach mich sein Vater an. Ich hatte kaum den Hausflur betreten, da kam er mir aus der Hintertür seiner Kneipe entgegen. »Na, wie jeht’s? Allet noch frisch?«
    Diese Begrüßung hörte sich an, als sei er mein Freund, der mich täglich auf diese Weise empfing. Seine vom Saufen verquollenen Augen allerdings starrten mich an wie einen Fremden, der hier nichts zu suchen hat.
    »Willst doch längst wissen, wo Reiner steckt, oder? Sollt ick mir da etwa irren?«
    Die Schulmappe in meiner Hand begann zu zittern. Seitdem ich gesehen hatte, mit welcher Wut er auf seinen Sohn eingeschlagen hatte, hatte ich Angst vor Nilowskys Vater. Er bemerkte das Zittern und meinte fast amüsiert: »Musst keene Angst vor mir haben. Oder meinste, ick hau dir ’n Kopp ab?«
    »Nein«, antwortete ich und dachte: Wenn jemand so was sagt, hat er vielleicht schon mal einem den Kopf abgeschlagen, warum würde er denn sonst so was sagen?
    »Komm rin!« Der Alte machte eine gebieterische Bewegung mit dem Kopf in Richtung Kneipe. »Kriegst ooch ’ne Brause.«
    Ich folgte ihm und setzte mich wie selbstverständlich an einen der Sprelacarttische. Fast hätte ich, um eine lässige Haltung vorzutäuschen, meine Beine übereinandergeschlagen.
    »Noch sind wa beede janz alleene«, sagte Nilowskys Vater, und ich glaubte, eine Drohung herauszuhören. Aber er fing an zu lachen, als hätte er soeben einen Witz gemacht. Das Lachen ging in ein Husten über, das immer lauter und krächzender wurde, bis Nilowskys Vater stotternd hervorstieß: »Wenn ick weiter … Wenn ick weiter so qualme, mach ick nich mehr lange. Dit steht fest.«
    Er ging hinter den Tresen. Während er mir eine Brause zapfte, bekam er seinen Husten in den Griff. »Na los, hol se dir ab. Ick bin ’n alter Mann, ick kann nich mehr so viel loofen.«
    Ich stand auf, lief zum Tresen und erinnerte mich an das, was mir meine Mutter als Kind manchmal gesagt hatte: Iss oder trink nichts von fremden Menschen, es könnte vergiftet sein. Langsam nahm ich einen großenSchluck von der Brause, was Nilowskys Vater sogleich kommentierte: »Na, ’n ordentlichen Schluck haste ja schon.«
    »Wo ist denn nun Reiner?«, fragte ich, und der Alte erwiderte: »Na, rate mal.«
    Ich dachte daran, Carola zu erwähnen, verwarf aber den Gedanken sofort. Nilowsky ausgerechnet bei seinem Vater zu verraten, das wäre ja das Letzte. »Weiß nicht«, sagte ich leichthin, »keine Ahnung.«
    »Du Witzbold, von wegen keene Ahnung. Er is jetzt vierzehn Tage weg, so lange war er noch nie weg. Und du sagst: Keene Ahnung. Ihr gluckt doch immer zusammen, wenn er nich bei mir is und bedienen muss. Na los, raus mit der Sprache!«
    »Wieso glucken wir immer zusammen?«, versuchte ich mich zu verteidigen, und der Alte antwortete prompt: »Wat weeß denn ick, warum ihr immer zusammengluckt?«
    Er goss sich aus einer Flasche Meldekorn ein Bierglas halbvoll, trank es in einem Zug aus, schüttelte sich und rief: »Immer weg mit dem scheiß Gift, immer weg damit.«
    Ohne auch nur ein bisschen zu wanken, kam er hinterm Tresen hervor, setzte sich mir gegenüber an den Tisch und starrte mich an. In seinem Blick war auf einmal etwas Weiches, Hilfloses, das mich nicht weniger verunsicherte als das Feindselige zuvor.
    »Ick hab den Reiner alleene großjezogen. Aber meinste, der dankt mir dit? Obwohl ick schon über fuffzig war, als seine Mutter jestorben is. Keene Frau wollt’ mir haben mit dem Reiner. Da hab ick ihn alleene großjezogen. Der war erst vier, als seine Mutter jestorben is.Die hat nich jesoffen und nich jeraucht, aber uff eenmal musste sie ins Krankenhaus, und da kam sie nich mehr raus.« Er grinste und schüttelte den Kopf. »Hätt’ sie mal jesoffen und jeraucht, vielleicht wär sie dann nich an Krebs jestorben. Aber die kam ja noch nich mal inne Kneipe. Ick hab mir jewundert, warum sie mir überhaupt jenomm’ hat, wenn sie nich mal inne Kneipe kam.«
    »Wie haben Sie sich kennengelernt«, fragte ich, »Sie und Ihre Frau?«
    Ich war überrascht von meiner eigenen Frage. Hört sich an, dachte ich, als würde ein Erwachsener fragen. Ein Erwachsener, der obendrein aus irgendwelchen Gründen das Recht dazu hat. Nilowskys Vater war nicht weniger überrascht.
    »Na,

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