Nimm dich in acht
den flauschigen weißen Bademantel an, in dem sie sich immer wie der Osterhase vorkam.
Alex lachte, als sie die Tür öffnete. »Sie sehen aus wie eine Zehnjährige«, sagte er. »Wollen Sie Doktor mit mir spielen?«
Sie schnitt eine Grimasse. »Benehmen Sie sich und schalten Sie die Nachrichten ein.«
Sie schloß die Schlafzimmertür hinter sich, setzte sich an die Frisierkommode und holte den Fön heraus. Ich wäre geliefert, wenn ich mir nicht selbst die Haare machen könnte, dachte sie. Obwohl mein Haar nie so gut aussieht wie das von Dee. »Du meine Güte, bin ich spät dran«, murmelte sie, als sie den Fön auf die höchste Stufe stellte.
Eine Viertelstunde später, um genau sechs Uhr achtundzwanzig, blickte sie in den Spiegel. Ihr Haar sah gut aus, das zusätzliche Make-up kaschierte die Spuren des Schlafmangels, die sie im Gesicht bemerkt hatte, und fast alle Falten an ihrem Rock waren geglättet, also schien alles in bester Ordnung zu sein. Und doch kam ihr irgend etwas schief vor. War sie zu beunruhigt, zu gehetzt gewesen, oder was sonst? fragte sie sich, als sie ihre Abendtasche nahm.
Sie fand Alex im Arbeitszimmer, wo er wie angewiesen fernsah. Lächelnd sah er sie an. »Sie sind wunderschön«, sagte er.
»Danke sehr.«
»Ich habe mir die Nachrichten angeschaut, also werde ich Ihnen im Wagen alles erzählen, was heute in New York passiert ist.«
»Ich kann’s kaum erwarten.«
Sie sieht toll aus, dachte Jim Curley, als er ihr die Autotür aufhielt. Richtig toll. Während der Fahrt nach Uptown zur Bibliothek blickte er zwar aufmerksam auf den Verkehr, hörte jedoch dem Gespräch auf dem Rücksitz zu.
»Susan, ich wollte noch eines klarstellen«, sagte Alex Wright. »Ich hatte eigentlich nicht vor, Ihre Schwester zu dem Dinner einzuladen.«
»Bitte machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Dee ist meine Schwester, und ich liebe sie.«
»Davon bin ich überzeugt. Für Binky haben Sie nicht soviel übrig, und vielleicht war es ein Fehler, aber ich habe sie und Ihren Vater auch eingeladen.«
O Mann, dachte Jim.
»Das wußte ich nicht«, entgegnete Susan ein wenig unwillig.
»Susan, Sie müssen verstehen, daß ich heute abend nur mit Ihnen Zusammensein wollte. Dee einzuladen war nicht meine Absicht, und als es sich ergeben hatte, dachte ich, daß ich ein Zeichen setze, wenn ich Ihren Vater und Binky in die Einladung mit einschließe und sie bitte, Dee abzuholen.«
Gute Erklärung, dachte Jim. Jetzt komm schon, Susan.
Gib dem Mann eine Chance.
Er hörte sie lachen. »Alex, bitte, ich glaube, ich bin etwas durcheinander. Ich wollte nicht so gereizt antworten. Sie müssen mir verzeihen. Ich habe eine scheußliche Woche hinter mir.«
»Erzählen Sie mir davon.«
»Nicht jetzt, aber danke für Ihr Interesse.«
Es wird alles gut, dachte Jim und seufzte erleichtert.
»Susan, ich spreche nicht oft über diese Dinge, aber ich kann Ihnen nachfühlen, wie Sie Binky gegenüber empfinden. Ich hatte auch eine Stiefmutter, obwohl mein Fall etwas anders gelagert war. Mein Vater heiratete wieder, nachdem meine Mutter gestorben war. Sie hieß Gerie.«
Er spricht so gut wie nie von ihr, dachte Jim.
Tatsächlich, Susan gegenüber Öffnet er sich.
»Wie war Ihr Verhältnis zu Gerie?« fragte Susan.
Frag ihn lieber nicht, dachte Jim.
91
Obschon sie etliche Male in der riesigen Zweigstelle der New York Public Library an der Fifth Avenue gewesen war, konnte Susan Chandler sich nicht erinnern, schon einmal die McGraw-Rotunde gesehen zu haben, in der die Party stattfand – ein prachtvoller Saal. Mit seinen hochaufragenden Steinmauern und lebensgroßen Wandgemälden gab er ihr das Gefühl, in ein anderes Jahrhundert zurückversetzt worden zu sein.
Trotz der eleganten Umgebung und trotz des Umstands, daß sie Alex Wrights Gesellschaft genoß, stellte Susan nach einer Stunde fest, daß sie unkonzentriert war und sich nicht entspannen konnte. Ich sollte den sehr angenehmen Abend genießen, dachte sie, und statt dessen bin ich in Gedanken bei einem äußerst fragwürdigen Mann, der einen Sexshop hat und der den Mörder von Regina Clausen, Hilda Johnson, Tiffany Smith und Abdul Parki identifizieren könnte, den Mann, der versucht hat, Carolyn Wells zu töten.
Vier dieser Namen waren allein in der vergangenen Woche zu der Liste hinzugekommen.
Gab es noch andere?
Würde es noch andere geben?
Warum war sie so sicher, daß die Antwort darauf ja lautete?
Vielleicht hätte ich doch lieber bei der
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