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Nimm dich in acht

Nimm dich in acht

Titel: Nimm dich in acht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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krampfhaft die Hände öffnete und schloß. Er steht am Rand eines Zusammenbruchs, dachte sie. »Hast du gestern abend wenigstens mit Dr. Richards gegessen?« fragte sie.
    »Ja. Wir waren in der Cafeteria.«
    »Und wie war’s?«

    »Es hat geholfen. Und jetzt weiß ich natürlich, daß ich vor zwei Jahren bei der Stange hätte bleiben sollen.
    Kennst du dieses alte Gedicht, Pam?«
    »Welches?«
    »Als er den Nagel suchte, ging der Schuh verloren, als er den Schuh suchte, ging das Pferd verloren, und als er das Pferd suchte, ging der Reiter verloren. Oder so ähnlich.«
    »Justin, du redest wirres Zeug.«
    »Nein. Hätte ich mich behandeln lassen, dann hätte ich nicht so überreagiert, als ich hörte, daß Carolyn während der Radiosendung angerufen hatte, um von dem Kerl auf der Kreuzfahrt zu erzählen. Hätte ich sie mit meinem Anruf nicht durcheinandergebracht, dann hätte sie ihre Verabredung mit Dr. Chandler vielleicht eingehalten. Das heißt, sie wäre vor dem Haus in ein Taxi gestiegen und nicht zu Fuß zur Post gegangen.«
    »Justin, hör auf damit! Du machst dich verrückt mit diesem ›hätte‹.« Sie nahm seine Hand. »Justin, ganz bestimmt hast du diese schreckliche Sache nicht zu verantworten. Hör auf, dir die Schuld zu geben.«
    »Genau das hat Don Richards mir auch gesagt: ›Hören Sie auf!‹« Tränen schossen ihm in die Augen, und er schluchzte unterdrückt.
    Pamela legte den Arm um ihn und strich ihm das Haar aus der Stirn. »Du mußt mal hier raus. Wenn wir hier weiter so sitzen, fangen die Leute noch an, über uns zu reden«, sagte sie sanft.
    »Und George fällt dann auch noch über mich her. Wann kommt er nach Hause?«
    »Heute abend. Und jetzt möchte ich, daß du heimfährst.
    Geh ins Bett, schlaf mindestens fünf Stunden, dann dusche richtig, rasier dich, zieh dir frische Klamotten an und komm zurück. Wenn Carolyn aufwacht, wird sie dich brauchen. Und sieht sie dich so wie jetzt, bucht sie sofort eine neue Kreuzfahrt.«
    Pamela hielt den Atem an und hoffte, daß sie nicht zu weit gegangen war, aber schließlich wurde sie durch ein leises Lachen belohnt. »Beste Freundin, du bist ein Schatz.«
    Sie begleitete ihn zum Aufzug. Auf dem Weg dorthin schauten sie noch einmal nach Carolyn. Die Polizeibeamtin folgte ihnen.
    Justin nahm die Hand seiner Frau, küßte ihre Handfläche und schloß ihre Finger um seinen Kuß. Er sprach kein Wort.
    Als die Aufzugtüren sich hinter ihm geschlossen hatten, kehrte Pamela zum Wartezimmer zurück, wurde jedoch von der Schwester am Empfang aufgehalten. »Sie hat wieder gesprochen, gerade eben, als Sie gegangen waren.«
    »Was hat sie gesagt?« fragte Pamela und fürchtete sich fast vor der Antwort.
    »Das gleiche. Sie sagte ›Win, oh, Win‹.«
    »Tun Sie mir einen Gefallen und sagen Sie es nicht Mr. Wells.«
    »In Ordnung. Wenn er fragt, sage ich nur, sie hätte versucht zu sprechen, und das wäre ein gutes Zeichen.«
    Pamela ging am Wartezimmer vorbei zum Münztelefon.
    Bevor sie zum Krankenhaus gefahren war, hatte Susan Chandler sie angerufen und erklärt, sie versuche dem Namen Win durch die Passagierliste der Seagodiva auf die Spur zu kommen. »Sagen Sie den Schwestern, sie sollen aufmerksam zuhören, wenn Carolyn den Namen wieder sagt. Vielleicht fügt sie noch etwas hinzu. Win muß ein Kosename oder eine Abkürzung eines Namens wie Winston oder Winthrop sein.«
    Susan war nicht zu Hause, daher hinterließ Pamela Hastings eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter.
    »Carolyn versucht wieder zu sprechen. Aber sie hat nur das Übliche gesagt – ›Win, oh, Win‹.«

    93
    »Sonntag morgens besuchten Regina und ich oft die Messe in St. Thomas und gingen dann hinterher essen«, sagte Jane Clausen zu Susan. »Die Musik dort ist wundervoll. Ich habe es über ein Jahr lang nicht geschafft, wieder hinzugehen, nachdem ich sie verloren hatte.«
    »Ich komme gerade von der Zehn-Uhr-Messe in St.
    Pat«, berichtete Susan. »Auch dort gibt’s herrliche Musik.« Sie war direkt von der Kathedrale aus zum Krankenhaus gegangen. Erneut war es ein wunderschöner Herbsttag, und sie hatte sich gefragt, wo Tiffany Smith wohl am vergangenen Sonntag gewesen war. Hatte sie irgendeine Vorahnung gehabt, daß es ihr letzter Sonntag sein könnte, daß ihr Leben in nur wenigen Tagen beendet sein würde? Natürlich nicht, dachte Susan und versuchte kopfschüttelnd, die makabre Stimmung abzustreifen.
    Jane Clausen wußte genau, daß ihr nur noch sehr wenig Zeit blieb. Susan hatte

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