Nimm dich in acht
Staatsanwaltschaft bleiben sollen, dachte sie, als sie einen Schluck Wein trank und nur mit halbem Ohr den Worten von Gordon Mayberry lauschte, einem älteren Gentleman, der ihr unbedingt nahebringen wollte, wie großzügig die Wright Stiftung sich gegenüber der New York Public Library zeigte.
Gleich bei ihrer Ankunft hatte Alex sie demonstrativ einer Reihe vermutlich wichtiger Leute vorgestellt. Sie wußte nicht recht, ob sie amüsiert sein oder sich geschmeichelt fühlen sollte, da er auf diese Weise offenbar klarstellen wollte, daß sie seine heutige Partnerin war.
Dee, ihr Vater und Binky trafen wenige Minuten nach Alex und ihr ein. Dee, in einer exquisiten weißen Abendrobe, umarmte sie liebevoll. »Susie, hast du gehört, daß ich mit Sack und Pack zurückkomme? Wir werden öfter mal miteinander ausgehen. Du hast mir gefehlt.«
Ich glaube, sie meint es wirklich ernst, dachte Susan.
Gerade deshalb ist es so unfair, was sie mit Alex abzieht.
»Haben Sie das Buch gesehen, das Alex heute abend überreicht wird?« fragte Gordon Mayberry.
»Nein, noch nicht«, erwiderte Susan und konzentrierte sich mühsam.
»Eine limitierte Ausgabe natürlich. Alle Gäste erhalten ein Exemplar, aber vielleicht möchten Sie schon vor dem Essen einen Blick darauf werfen. Es wird Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, wieviel Gutes die Wright Stiftung in den sechzehn Jahren ihres Bestehens getan hat.« Er zeigte auf einen beleuchteten Stand in der Nähe des Eingangs der Rotunde. »Es liegt da drüben.«
Das Buch war in der Mitte aufgeschlagen, doch Susan blätterte zum Anfang zurück. Auf dem Schutzumschlag waren Fotos von Alex’ Vater und Mutter, Alexander und Virginia Wright, abgedruckt. Kein sehr fröhliches Paar, dachte sie, als sie ihre ernsten Gesichter betrachtete. Sie warf einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis. Die ersten Seiten enthielten einen kurzen Abriß der Geschichte der Alexander and Virginia Wright Stiftung; der Rest des Buchs war in Abschnitte nach den jeweiligen Projekten unterteilt:
Krankenhäuser, Bibliotheken, Waisenhäuser, Forschungseinrichtungen …
Sie blätterte erst aufs Geratewohl, dann fiel ihr Jane Clausen ein, und sie schlug den Abschnitt über Waisenhäuser auf. Plötzlich hielt sie inne und betrachtete das Foto eines Waisenhauses in Mittelamerika. Es muß eine typische Bauart für diesen Zweck geben, dachte sie.
Und eine typische Art der Landschaftsgestaltung.
»Wirklich faszinierend, nicht wahr?«
Alex stand neben ihr.
»Sehr beeindruckend, möchte ich sagen.«
»Falls Sie sich losreißen können, es wird gleich serviert.«
Trotz der Eleganz des Dinners war Susan bald wieder in ihre Gedanken versunken, so daß sie kaum wahrnahm, was sie aß. Ihre dunklen Vorahnungen waren so stark, als hätten sie körperliche Gestalt angenommen. Nat Small, der Besitzer des Sexshops – sie konnte nicht aufhören, an ihn zu denken. Angenommen, dem Killer fiel ein, daß Nat ihn draußen vor dem Schaufenster beobachtet haben könnte? Er würde Nat sicher auch beseitigen, dachte Susan. Carolyn Wells erholt sich vielleicht nie mehr, oder wenn doch, erinnert sie sich wahrscheinlich nicht mehr an das Vorgefallene. Das heißt, Nat ist vielleicht der einzige, der den Mann identifizieren kann, der Parki und die anderen ermordet hat und Carolyn Wells ermorden wollte.
Als sie merkte, daß Alex sie etwas fragte, riß sie sich kurze Zeit zusammen. »O nein, alles in Ordnung. Und das Essen schmeckt köstlich«, sagte sie. »Ich hab’ nur keinen großen Hunger.«
Ich müßte die Fotos von Carolyns Kreuzfahrt am Montag erhalten, dachte sie. Aber was werde ich zu sehen bekommen? Als Carolyn in der Sendung angerufen und das Foto erwähnt hatte, sagte sie, der Mann, der sie nach Algier eingeladen habe, sei nur im Hintergrund zu sehen.
Und Reginas Kreuzfahrt? Vielleicht gibt es andere, klarere Fotos von der Reise, auf denen er abgebildet wurde. Ich hätte sie gleich mitbestellen sollen, übelegte sie und verwünschte sich, weil sie nicht eher daran gedacht hatte.
Ich muß sie haben, ehe es zu spät ist - bevor noch jemand getötet wird.
Die Buchpräsentation fand nach dem Hauptgang statt.
Die Bibliotheksleiterin sprach über die Großzügigkeit der Wright Stiftung und über die Spende, mit der seltene Bücher angeschafft und erhalten werden sollten. Sie sprach auch über »die Bescheidenheit und das Engagement« von Alexander Carter Wright, der sein Leben »auf so selbstlose Weise« der Stiftung widme und jede
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