Nimm dich in acht
der Cocktailparty des Kapitäns für die Neuankömmlinge, die sich der Kreuzfahrt in Haifa angeschlossen hatten. Selbstverständlich hatte er sich dem Ritual, sich gemeinsam mit dem Kapitän fotografieren zu lassen, zu entziehen versucht, war aber offensichtlich nicht vorsichtig genug gewesen. Beim Einkreisen seiner Beute hatte er sich zu dicht an Carolyn herangewagt und war im Aufnahmebereich der Kamera gelandet. Er erinnerte sich noch, daß er sofort die Traurigkeit gespürt hatte, die von ihr ausging, ein unbedingtes Muß für seine Pläne. Ihre Aura war so stark gewesen, daß er auf Anhieb gewußt hatte, daß sie die nächste sein würde.
Er studierte das Foto. Obgleich er im Profil abgelichtet war, noch dazu mit dem auffälligen Schnauzer und rotbraunem Haar, konnte ein geschultes Auge ihn durchaus erkennen.
Seine kerzengerade Haltung und seine Angewohnheit, den Daumen der rechten Hand in die Tasche zu haken, könnten ihn verraten; und auch seine Beinstellung – der rechte Fuß stand einen halben Schritt vor dem linken und trug wegen einer alten Verletzung fast sein ganzes Gewicht – würde jemandem, der danach Ausschau hielt, womöglich auffallen.
Er warf das Bild in den Reißwolf und sah mit grimmiger Befriedigung zu, wie es zu unkenntlichen Schnipseln zerkleinert wurde. Den Ring steckte er an seinen kleinen Finger. Er bewunderte ihn, sah ihn sich aus der Nähe an, dann runzelte er die Stirn und griff nach einem Taschentuch, um ihn zu polieren.
Sehr bald würde eine andere Frau die Ehre haben, diesen Ring zu tragen, sagte er sich.
Er lächelte flüchtig, als er an sein nächstes, sein letztes Opfer dachte.
10
Es war halb fünf, als Justin Wells in sein Büro zurückkehrte, um sich wieder an die Arbeit zu machen.
Mit einer für ihn charakteristischen Geste fuhr er sich mit der Hand durch sein dunkelbraunes Haar, dann ließ er den Stift fallen, schob seinen Stuhl zurück und stand auf.
Wenngleich von kräftiger Statur, bewegte er sich schnell und leichtfüßig, als er sich von dem Tisch mit den Entwürfen entfernte, ein Vorzug, der vor fünfundzwanzig Jahren dafür gesorgt hatte, daß er einer der herausragenden Football-Spieler seines Colleges war.
Er konnte nicht arbeiten. Man hatte ihm den Auftrag gegeben, die Renovierung des Foyers eines Wolkenkratzers zu übernehmen, aber er hatte keine Ideen.
Heute fiel es ihm schwer, sich überhaupt auf etwas zu konzentrieren.
Der feige Löwe aus dem »Zauberer von Oz«. So hätte er sich selbst beschrieben. Ängstlich. Immerzu ängstlich.
Jeder neue Auftrag begann mit der quälenden Gewißheit, daß er diesmal Pfusch abliefern würde. Vor fünfundzwanzig Jahren war es ihm vor den Footballspielen genauso ergangen. Inzwischen war er Teilhaber im Architekturbüro Benner, Pierce und Wells, und ihn plagten immer noch die gleichen Selbstzweifel.
Carolyn. Er war überzeugt, daß sie ihn eines Tages endgültig verlassen würde. Sie wird wütend sein, wenn sie jemals herausbekommt, was ich jetzt vorhabe, sagte er sich, während er nervös nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch griff. Er hatte die Nummer des Senders. Sie wird es nie erfahren, beruhigte er sich. Ich will ja auch nur um einen Mitschnitt der heutigen Folge von Fragen Sie Dr. Susan bitten. Ich werde sagen, daß es die Lieblingssendung meiner Mutter ist, und sie hätte sie heute verpaßt, weil sie einen Termin beim Zahnarzt hatte.
Wenn es tatsächlich stimmte, was ihm Barbara, die Empfangsdame, erzählt hatte, wenn es wirklich Carolyn gewesen war, die während der Sendung angerufen hatte, dann hatte sie von einem Mann erzählt, mit dem sie auf einem Kreuzfahrtschiff eine Verbindung eingegangen war.
Er versetzte sich in die Zeit vor zwei Jahren zurück, als Carolyn nach einer schrecklichen Szene spontan eine Seereise von Bombay nach Portugal gebucht hatte.
Damals hatte sie gesagt, bei ihrer Rückkehr werde sie die Scheidung einreichen – sie möge ihn zwar immer noch, könne aber seine Eifersucht und seine ewigen Fragen, wo sie den ganzen Tag gesteckt und wen sie getroffen habe, nicht mehr ertragen.
Ich habe sie angerufen, kurz bevor das Schiff in Athen anlegte, erinnerte sich Justin. Ich sagte ihr, ich sei bereit, eine Therapie zu machen, zu tun, was immer ich könne, wenn sie nur nach Hause zurückkäme und mit mir an der Rettung unserer Ehe arbeiten würde. Und ich habe mir zu Recht Sorgen gemacht, dachte er. Kaum war sie von mir getrennt, hat sie offenbar einen anderen Mann
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